Aufruf der Plattform Stop TTIP & CETA an die Luxemburger Parlamentarier: Bringen Sie den Mut auf und zeigen Sie Verantwortung: stimmen Sie gegen das Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada – CETA !
Am kommenden Montag, den 24. Februar 2020, wird erstmalig in der zuständigen Kommission der Luxemburger Abgeordnetenkammer über das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada diskutiert werden. Auf den ersten Blick, mag dieses Abkommen vielleicht als recht „unproblematisch erscheinen”, in Wirklichkeit aber ist es von erheblicher Tragweite! Die Luxemburger Stop TTIP & CETA Plattform möchte einen eindringlichen Appell an die Luxemburger Parteien und Abgeordneten richten, CETA NICHT zuzustimmen. Dies aus folgenden Überlegungen heraus:
Die heutigen Herausforderungen auf Weltebene sind gewaltig: Die sozialen Ungleichheiten weltweit wachsen weiter an, der Klimawandel macht sich immer mehr bemerkbar, Millionen von Klimaflüchtlingen werden für die Zukunft vorhergesagt; der Verlust an Biodiversität und folgend der Lebensgrundlage des Menschen ist dramatisch! Dabei nehmen die sozialen Ungleichheiten innerhalb den Gesellschaften zwischen Arm und Reich dramatisch zu. Gemäß Erklärungen von diversen Weltgipfeln und sonstigen Foren, scheint es einen weitgehenden politischen Konsens zu geben, diese Zukunftsherausforderungen anzugehen und für Kurskorrekturen zu sorgen! Die Weltgemeinschaft gab sich so z.B. die sogenannten „millenium goals”, mit denen die weltweiten Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen, das Pariser Klimaschutzabkommen wurde verabschiedet u.a.m.
Aber: Derzeit besteht ein himmelschreiender Unterschied zwischen all jenen verbalen „Bekenntnissen” und der politischen Realität, vor allem was die Organisation des Welthandels betrifft. Dieser – und im Besonderen die Freihandelsabkommen – widersprechen in eklatantem Ausmaß allen Prinzipien einer nachhaltigen Handelspolitik! Dies trifft nicht nur auf die “alten” Freihandelsabkommen zu, sondern auch auf jene, die derzeit zur Diskussion stehen. Dabei sind die Freihandelsabkommen heute in der Gesellschaft umstrittener denn je, da immer offensichtlicher wird, dass sie in keinster Form einen globalen Austausch, basierend auf demokratischen, sozialen und ökologischen Grundlagen, garantieren, sondern eher einem neoliberalen Wachstums- und Globalisierungsprinzip zum Profit von Wenigen folgen. Entsprechende Analysen gibt es zu Hauf.
Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP), das auf massiven Widerstand bei der Zivilgesellschaft stieß und zig-tausende Menschen auf die Straße brachte, ist dabei noch lange nicht vom Tisch! Ganz im Gegenteil: mehr denn je wird hinter verschlossenen Türen über ein TTIP2 verhandelt, das – falls die Informationen, die nach außen dringen, stimmen – in keinster Form 2 vertretbar wäre. Dies sowohl was den Klimaschutz, die Landwirtschaftspolitik aber auch andere Sektoren betrifft. U.a. aufgrund der hohen Strafzölle, vor allem auf Stahl und Aluminium, lässt sich die EU scheinbar auf Diskussionen betreffend Zugeständnisse in anderen Sektoren ein. Dies nach dem Motto: „Kommt Amerika Europa entgegen, was die Zulässigkeit der Gentechnik, die Herabsetzung von Standards in der Landwirtschaft (Pestizide, Hormone) u.a.m. betrifft, so reduzieren die USA die Zölle auf wichtigen Exportprodukten der EU…“.
TTIP2 und die vorliegenden Entwürfe von Freihandelsabkommen zeigen in aller Deutlichkeit auf: Handelsabkommen erfolgen nach wie vor noch unter dem Primat eines liberalisierten Weltmarktes. Und CETA ist ein weiterer Ausdruck dafür!
Nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der Zivilgesellschaft konnte das CETA-Abkommen nicht einfach auf EU-Ebene durchgewunken werden. Vielmehr ist es dem Engagement zahlreicher Menschen zu verdanken, dass juristisch geklärt werden musste, inwiefern CETA als gemischtes Abkommen anzusehen ist oder nicht. D.h. inwiefern das Europaparlament und die europäische Kommission es alleine in Kraft setzen können oder aber inwiefern auch die Zustimmung der nationalen Parlamente erforderlich ist.
Nach monatelangem Hin und Her war klar: die nationalen Parlamente müssen einen wesentlichen Teil von CETA ratifizieren.
Zwar konnten die generellen Bestimmungen von CETA am 17. September 2017 ohne die nationalen Parlamente in Kraft treten. Es erfolgte eine sogenannte „provisorische Ratifikation” – ein „teilweises Inkrafttreten” wesentlicher Bestimmungen: Abbau von Zöllen, Vereinbarungen bestimmter Normen usw. Einem äußerst zentralen Teil des Abkommens – dem Kapitel 29 – muss aber noch jedes einzelne nationale Parlament der EU zustimmen. Kapitel 29 sieht den sogenannten “Schiedsmechanismus” vor. Dieses Kapitel, das in extremster Form die Werte unserer Gesellschaft im sozialen, Umwelt-, Gesundheits- und demokratischen Bereich in Frage stellt, wird dieser Tage im Luxemburger Parlament entschieden werden.
Über die Hälfte der Nationalparlamente Europas haben dem Abkommen bereits zugestimmt. Aber kann dies ein ausreichendes Argument für Luxemburg sein, ebenfalls zuzustimmen, nur weil „andere“ Länder das bereits zum Teil getan haben? Oder stände es nicht auch Luxemburg gut zu Gesicht, hier seine Verantwortung zu übernehmen und sich zum Sprachrrohr von Millionen Menschen in der EU (und Kanada) zu machen? Und: Sich vor allem in den Dienst von Umwelt, Sozialem und Gesundheit zu stellen und über das Wahrnehmen der Belange der BürgerInnen auch der Politikverdrossenheit entgegen zu wirken?
Können politische Entscheidungsträger, in aller Sachkenntnis, einem Dokument von 1.598 Seiten zustimmen? 1.598 Seiten umfasst das “Originaldokument” seitens der EU-Kommission, sage und schreibe über 2.300 die Luxemburger Fassung!
Der Text des CETA-Vertrages wurde nicht einmal a priori all jenen Abonnenten des Memorials zugestellt, die ansonsten Gesetzesentwürfe in gedruckter Form erhalten. Als absoluter, und (wohl verständlicher), Sonderfall, wurden alle Abonnenten angeschrieben, ob sie das Dokument effektiv in schriftlicher Form erhalten wollen….
Stellt sich die Frage, wer dieses Dokument in allem Umfang lesen konnte? Aufgrund der doch sehr fachlichen Sprache und den unendlich vielen juristischen Querverweisen ist die Lektüre ein schwieriges Unterfangen, nicht zu sprechen von einem demokratischen Dialog.
Können politische Entscheidungsträger tatsächlich guten Gewissens diesem Dokument zustimmen, ohne fundierte Sachkenntnis und angesichts der zahlreichen gut begründeten Gegenargumente seitens Fachinstituten, Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft?
Kapitel 29, das in Kürze in der Luxemburger Abgeordnetenkammer zum Votum steht, sieht ein besonderes Schlichtungssystem vor, das bei Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Abkommens zwischen der EU und Kanada, Entscheidungen treffen soll.
Dabei wird festgelegt, dass multinationale Firmen (nachdem erfolglos versucht wurde auf Verhandlungsebene einen Konsens herbeizuführen) einen Streitfall, betreffend der Auslegung des CETA-Abkommens vor Schiedsgerichten vorbringen können. Diese Schiedsgerichte wurden in der Vergangenheit besonders stark kritisiert, da sie ursprünglich u.a. auf besonders zweifelhafte Art und Weise zusammengesetzt werden sollten. Auf Druck der Zivilgesellschaft wurden Verbesserungen bezüglich der Zusammensetzung vorgenommen. Statt privater Schiedsgerichte wird ein multilaterales Investitionsgericht mit professionellen Richtern eingesetzt. Entsprechend ist die Zusammensetzung weniger problematisch, als dies ursprünglich der Fall war, auch wenn sie bei weitem noch nicht so ausgegoren ist, wie dies sein sollte. Es handelt sich nach wie vor um Sondergerichte, die außerhalb des gängigen Justizsystems funktionieren! Aber: Erheblicher Streitpunkt war und bleibt zweifelsfrei nicht nur die Zusammensetzung dieser Gerichte, sondern die Regeln auf denen deren Rechtssprechung basieren soll!
Es geht somit in erster Linie um die Grundlagen des Schlichtungssystems, mit denen sich diese Gerichte befassen sollen. Und die entsprechenden Bestimmungen sind aus sozialer, ökologischer und demokratischer Sicht absolut unvertretbar, wie u.a. folgende grundlegende Kritik aufzeigt:
Zentraler Eckpunkt von CETA ist, dass multinationale Konzerne Länder vor diese Schiedsgerichte zitieren können, wenn sie glauben, aufgrund eines Gesetzes, einer Bestimmung im Sinne des Gemeinwohles – sprich Umweltstandards, soziale Kriterien, Vorgaben in puncto Lebensmittelsicherheit oder Tierwohl …. – wären ihnen vermeintliche, zu erwartende Gewinne verloren gegangen. Besonders problematisch hierbei ist, dass es sich bei diesen „verlorenen Gewinnen” nicht um z.B. die Rückerstattung von Ausgaben handelt, die ein Konzern vor der Verabschiedung eines Gesetzes getätigt hat und die nun ggf. aufgrund eines neuen Gesetzes ins Leere laufen (z.B. eine Produktionsanlage, die nun aber nicht genehmigt wird).
Nein: Es geht hier ins besondere darum, dass eine Firma, die sich Gewinne durch eine ökonomische Aktivität lediglich erwartet hat, nunmehr aufgrund von Auflagen, u.a. aus Umwelt- und Gesundheitssicht, eingeschränkt wird und somit in Zukunft nicht mehr die erhofften Gewinne machen kann! Das klassische Beispiel ist eine Tabakfirma, die einen Staat aufgrund eines Tabakwerbeverbotes auf Rückerstattung der zu erwartenden Gewinne verklagt hat! Oder: Eine Firma, die kein Gasfracking betreiben darf oder keine Erdölleitungen durch ein wertvolles Gebiet von indigenen Völkern bauen darf.
Eine absolut absurde Situation! Parlamente und Regierungen sind gewählt, um im Interesse der Allgemeinheit zu entscheiden! Dabei dürfen Gewinne, die den multinationalen Konzernen evtl. in Zukunft verloren gehen könnten, kein Hemmnis für Regeln im Sinne der Allgemeinheit darstellen und in einem gewissen Sinne die Freiheit und Entscheidungsgewalt der Regierungen einengen! Rein ökonomisch-monetäre Ziele dürfen niemals über den Zielen des Allgemeinwohls stehen!
Und man mag sich gar nicht vorstellen, was ein derartiger Prozess für ein Land mit einem doch verhältnismäßig kleinen Budget wie Luxemburg bedeuten könnte. Denn es ist bekannt, dass die Klagen in Millionenhöhe gehen…
Einige Fakten zu Schiedsverfahren, wie sie seitens Friends of the Earth zusammengestellt wurden: Seit 2015 wurden jährlich über 70 Staaten von Multinationalen vor Schiedsgerichte zitiert; insgesamt gab es 942 Klagen gegenüber 117 Ländern seit Einführung der Schiedsgerichte (Stand 1. Januar 2019). Bei 70% der Fälle, für welche Informationen vorliegen wurden Staaten auf 623 Millarden Dollar verklagt. Es wird geschätzt, dass etwa 88 Milliarden Strafen ausbezahlt wurden. 94,5% der gesprochenen Urteile im Sinne von Firmen betrafen Multinationale mit einem “chiffre d’affaire » von mehr als 1 Milliarde Dollar oder für Privatpersonen mit einem Besitz von über 100 Millionen Dollar.
Ein weiteres zentrales Element ist der, im Abkommen vorgesehene, sogenannte „gemischte CETAAusschuss” (Joint Committee) und dessen Rechte. Dieser CETA-Ausschuss kann Sonderausschüsse zu Themen wie Arbeit und Handel, Landwirtschaft, Investitionen, gesundheitliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen u.a.m. einsetzen, die die Umsetzung des CETA-Abkommens begleiten und ggf. Abänderungen durchführen. Diese haben zum Ziel juristische Aspekte, weitere Barrieren des Handels, Interessensunterschiede in Bestimmungen … zur Diskussion zu stellen. Sie haben, wie angeführt, Entscheidungsbefugnis (!) und deren Entschlüsse müssen umgesetzt werden. Vereinfacht dargestellt geht es darum, dass in diesen nicht demokratisch gewählten Ausschüssen zwischen der EU-Kommission und Kanada – ohne Rücksprache mit den Nationalparlamenten oder dem Europaparlament und ohne jedwede demokratische Legitimation – Bestimmungen neu verhandelt werden. Deren Beschlüsse sind dann aber für die einzelnen EU-Staaten sowie für Kanada völkerrechtlich verbindlich und „stehen über“ den Gesetzgebungen der Nationalstaaten!
Im Klartext bedeutet dies: Normen werden in Frage gestellt, Verbote können aufgehoben werden u.a.m! De facto stehen die wesentlichen Bestimmungen eines Abkommens erneut zur Diskussion: Dies aber komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Hier werden Kompetenzen, die eigentlich gewählten Vertretern zustehen, in untransparente Gremien verlagert, die sich zudem erwiesenermaßen häufig von der Wirtschaft beraten lassen. Exkurs: Sonderkommissionen tagen bereits Aussagekräftig ist die Tatsache, dass bereits jetzt Sonderkommissionen zur Auslegung des CETAVertrags eingesetzt wurden. EU-Diplomaten trafen sich bereits 2018 mit kanadischen Stellen, um bestimmte Normen im Bereich „plant health”, Lebensmittelsicherheit, Tierwohl und Pestizide zu diskutieren. Diese Diskussionen erfolgen im sogenannten „Joint Management Committee on Sanitary and Phytosanitary Mesures”, einem von zahlreichen Kommittees. Dabei sind die Berichte dieser Gruppen nicht öffentlich zugänglich. Lediglich recht belanglose Resumés werden auf der Seite der EU-Kommission veröffentlicht. Das Umweltinstitut aus Deutschland fragte die Verbatim an und erhielt seitens der EU-Kommission eine Absage. Die Berichte der Sitzungen an Dritte würden, so die Kommission, das Risiko der Fehlinterpretationen bergen und den Diskussionsprozess erschweren. Das sagt alles!
Zu den Unterausschüssen gehört auch ein„Regulatorisches Forum”, das über neue Gesetzesinitiativen eines EU-Staates sowie von Kanada, zu informieren ist.
Dieses soll evaluieren, inwiefern das neue Gesetzesprojekt konform zum CETA Prozess ist. Dabei wird ihnen in Kapitel 21 ein hoher Ermessensspielraum eingeräumt: untersucht werden dürfen z.B. technische Handelshemnisse, gesundheitliche und pflanzengesundheitliche Aspekte, Dienstleistungshandel, Handel und nachhaltige Entwicklung, Handel und Arbeit, Handel und Umwelt.
Dabei können „interessierte Kreise” in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Erfahrungsgemäß haben Wirtschaftsverbände dabei einen weitaus besseren Zugang, als Sozial-, Umwelt- und Verbraucherverbände. Dies wird z.B. durch die Tatsache illustriert, dass Zahlen der EUKommission belegen, dass im Vorfeld bei der Erstellung von Freihandelsabkommen ein weitaus intensiverer Austausch mit Wirtschaftsakteuren als mit sonstigen Akteuren stattfindet.
So entsteht eine Art Frühwarnsystem, das wirtschaftlichen Lobbygruppen erlaubt, über Gesetzesvorhaben von Ländern zu befinden, noch bevor sie den gewählten Parlamenten vorliegen. Vor allem besteht aber dabei die große Gefahr, dass wichtige Gesetze überhaupt nicht mehr zum Votum kommen, da der Druck dieser „regulatorischen Kooperation” und die Abmahnung von Strafverfahren Länder davon abhalten, zu legiferieren. Dies vor allem dann, wenn ein Land im Sinne des Gesundheits-, Umwelt- oder Sozialschutzes ein progressiveres Gesetz verabschieden möchte.
Die bis dato in dieser Stellungnahme angeführten Probleme betreffen de facto alle Sektoren, die im CETA-Abkommen geregelt werden: Umwelt, Soziales, Dienstleistungen, Gesundheit usw. Darüber hinaus birgt CETA in all diesen Bereichen noch sehr konkrete und tiefgreifende Gefahren!
• Das Europäische Vorsorgeprinzip wird ausgehebelt
In Europa gilt das Vorsorgeprinzip. D.h. ein Produkt kann verboten werden, solange der alleinige Verdacht besteht, dass es umwelt- oder gesundheitsschädlich sein könnte. Bevor es auf den Markt gebracht wird, muss der Produzent weitgehend nachweisen, dass es eben gerade nicht problematisch ist.
In Kanada ist die Situation umgekehrt, ähnlich wie in den USA: hier ist ein Produkt a priori zugelassen bis ein Konsument, eine Behörde usw. in einem zeit- und finanzaufwändigen Prozess den von allen Seiten geteilten wissenschaftlichen Beweis für ein Risiko erbringen kann. Erst dann wird ein Produkt verboten. Ein Beispiel illustriert die Folgen dieser Bestimmung: in den USA ist z.B. Asbest bis heute nicht vollständig verboten.
Dieses für Europa so wichtige Vorsorgeprinzip, das durchaus als gesellschaftliche Errungenschaft dargestellt werden kann, ist NICHT im CETA-Vertragstext festgeschrieben. Zudem unterliegt auch das Vorsorgeprinzip dem Investitionsschutz. Das heißt, sowohl Kanada, als auch Investoren können die EU oder ihre Mitgliedsstaaten verklagen, wenn sie Verordnungen auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips erlassen.
Ein absolutes NO-GO.
• Die Landwirtschaftspolitik als wesentlicher Verlierer
Der CETA-Vertrag erlaubt u.a. den Import ohne Taxierung von jährlich 65.000 Tonnen Rindfleisch sowie von 80.000 Tonnen Schweinefleisch nach Europa. Bis dato hält sich dieser Fleischexport von Kanada nach Europa trotz provisorischer Ratifizierung in Grenzen. Dies aber vor allem, da sich die kanadischen Landwirte erst nach vollständiger Ratifizierung von CETA auf die Exportschiene begeben wollen.
Seit Jahren befindet sich die Mutterkuhhaltung und Rindfleischproduktion in Europa in der Krise. In Luxemburg zum Beispiel ist die Mutterkuhhaltung rückläufig, da die Produktionskosten nicht gedeckt werden können. Ein begünstigter Import von kanadischem Rindfleisch aus großen kanadischen Betrieben und mit Wachstumshormoneinsatz in die EU wird die Situation noch verschlechtern und dazu führen, dass anschließend weitere politische Unterstützungmaßnahmen für den europäischen Rindfleischsektor nötig werden. Dies ist absolut kontraproduktiv zu den aktuellen Bemühungen, die weidebasierte Mutterkuhhaltung in unseren Regionen aufrecht zu erhalten.
Eine weitere Herausforderung ist die Umsetzung zukünftiger Umweltschutzauflagen in den Bereichen Klimaschutz, Biodiversität sowie Tierwohl. Die gleichen Produktionsauflagen müssten auf importiertem Fleisch gelten, was bis dato nicht sichergestellt ist.
Wenn CETA gänzlich ratifiziert werden würde, würden unsere Landwirte entsprechend noch weitaus mehr unter Druck geraten!
Kommt hinzu: auch wenn CETA derzeit strengere Werte betreffend Einsatz von Pharmazeutika usw. bei der Produktion vorsieht: die Landwirtschaftspolitik von Kanada ist weitaus stärker „industrialisiert” und greift in erheblichem Ausmaß auf Pharmazeutika zurück: 46 in Europa nicht genehmigte Substanzen werden eingesetzt, der Einsatz genmodifizierter Substanzen zur Förderung des Wachstums ist gang und gäbe. Wer vertraut hier darauf, dass die Kontrollen des Fleisches ausreichend sein werden, um den Import derartig belasteten Fleisches zu verbieten? Und wer garantiert, dass nicht in den genannten Kommissionen nachträglich die Normen für Fleisch aufgelockert werden?
• Die Gesundheitsvorsorge auf dem Prüfstand
Abgesehen von der Verwendung dieser Pharmazeutika in Kanada selbst, stellt sich, was die Gesundheitsvorsorge betrifft, z.B. folgendes weiteres Problem: Kanada hat in diesem Zusammenhang z.B. sein Abkommen mit den Vereinigten Staaten und Mexiko (USMCA, neues Nafta) erneuert, so dass gentechnisch veränderte Organismen nach Kanada importiert werden dürfen und nicht mehr mit spezifischen Zollcodes gekennzeichnet werden. Auch wenn deren Import nach Europa verboten ist: Wird dies überhaupt kontrollierbar sein, wenn Kanada die Waren ohne Zollcodes importieren darf?
• Gefährdung der öffentlichen Daseinsfürsorge
CETA schreibt den Ländern weitgehende Liberalisierungsverpflichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge vor (was u.a. die Marktöffnung betrifft).
Als erstes Abkommen definiert CETA keine sogenannten Positivlisten. D.h. es legt nicht fest, dass nur jene Dienstleistungen von der Liberalisierung betroffen sind, die explizit erwähnt werden. Vielmehr unterliegen alle Dienstleistungen der Liberalisierung, die nicht explizit davon ausgenommen werden (die sogenannten Negativlisten).
Dabei ist besonders undemokratisch, dass diese Negativlisten auch eine Hypothek für die Zukunft darstellen. Neu entstehende Dienstleistungen, wie digitale Dienste, sind z.B. in den Negativlisten nicht erfasst und unterliegen automatisch der Liberalisierung. Es ist keine demokratische Entscheidung mehr möglich, ob dies sinnvoll ist oder nicht.
Kommt hinzu, dass beschlossene Liberalisierungen oder Privatisierungen nicht mehr zurück genommen werden können (Stillstands- und Sperrklausel). Das heißt, Gemeinden können z.B. privatisierte Energienetze nicht mehr rekommunalisieren usw.
„Außerdem verpflichtet CETA Gemeinden, Länder und staatliche Behörden, Aufträge zum Einkauf von Dienst- und Bauleistungen nicht nur EU-weit, sondern auch in Kanada auszuschreiben. Betroffen sind z.B. Bauaufträge, die einen Wert von ca. 6 Mio. Euro überschreiten. (…) Die Aufträge müssen an den billigsten Bieter vergeben werden. Eine Koppelung der Auftragsvergabe an die Förderung der Region ist untersagt. Auch das Anwenden ökologischer und sozialer Vergabekriterien kann juristisch angegriffen werden, weil solche Kriterien bei CETA nicht klar formuliert sind.” (zitiert aus einer gemeinsamen Stellungnahme zahlreicher Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft).
• Rechte der ArbeitnehmerInnen nicht geschützt
CETA bietet keine Rechtssicherheit für ArbeitnehmerInnen. Ganz im Gegenteil: Die Verbesserung nationaler Standards, z.B. eine Erhöhung des Mindestlohns, könnte z.B. Gegenstand von Investitionschutzklagen werden. Auch die Berücksichtigung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist nicht gewährleistet. Zwar wird sich im Kapitel über Handel und Arbeit dazu bekannt, jedoch wurden keine Sanktionsmechanismen geschaffen, die die Durchsetzung auch garantieren.
• CETA – eine Gefahr für den aktiven Klimaschutz
CETA ist eine Gefahr für den aktiven Klimaschutz, der im Vertragstext lediglich als Handelshemmnis eine Rolle spielt. Zu befürchten ist eine massive Steigerung des Handels mit Fleisch aus Massentierhaltung, sowie mit fossilen Energien aus kanadischen Teersanden, deren Gewinnung extrem klimaschädliches Methangas freisetzt.
„Klimapolitische Gesetze und Verordnungen dürften nach der endgültigen Ratifizierung vermehrt Gegenstand von Investitionsschutzverfahren gegen Staaten werden. Denn ein Großteil von Unternehmen, die in fossile Energien investieren, sind in Kanada und Europa ansässig. Hinzu kommt, dass das Investitionsschutzkapitel bei CETA Investitionen in fossile Energien und Energieanlagen explizit schützt. “ (Zitat aus der Stellungnahme der deutschen Zivilgesellschaft).
• CETA – Trojanisches Pferd und Türöffner für strittige Firmen weltweit
CETA gilt für Investoren und Unternehmen mit Hauptsitz oder Niederlassung in der EU oder in Kanada (einschließlich über 40.000 US-amerikanischer multinationaler Unternehmen). Es liegt auf der Hand, dass im Falle von Strittigkeiten bestimmte Firmen ihren Sitz nach Kanada verlagern oder dort eine Niederlassung ihres Unternehmens ansiedeln, damit sie ggf. ein EU-Land vor den Schiedsgerichten wegen verlorener Gewinne verklagen dürfen. Allein diese Drohung dürfte bereits so manches EU-Land davon abhalten, diesen Betrieben gewisse Auflagen zu erteilen.
Völlig geklärt ist diese Eventualität nicht. Das Wichtigste ist: es wäre ein bemerkenswertes Signal dafür, dass die Handelspolitik nicht nur rhetorisch, sondern auch im Handeln und sehr konkret reformiert werden muss. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass das Votum weiterer nationaler Parlamente noch aussteht.
Die zentrale Frage bleibt aber: Kann ein einziges Parlament CETA kippen? Fest zu stehen scheint: Das Schiedssystem kann in diesem Fall nicht in Kraft treten.
Stellt dies den gesamten CETA-Vertrag in Frage? Diese Frage scheint (noch) nicht ausreichend geklärt zu sein…
Im „green new deal” der neuen EU-Kommission ist festgehalten, die Welthandelspolitik müsse demokratischer, sozialer und ökologischer gestaltet werden. Der CETA-Vertrag widerspricht – wie angeführt – diesen Vorgaben!
Dabei ist CETA nicht irgendein Abkommen, es ist das „blue print” für alle weitere Abkommen der EU mit dem Rest der Welt, dies aus demokratischer, sozialer und ökologischer Sicht. Weitere Abkommen stehen bereits vor der Tür: hervorgehoben sei vor allem MERCOSUR, das Abkommen mit 4 südamerikanischen Staaten.
CETA wäre ein Fortführen der bisherigen Art der Globalisierung, die zu viele Verlierer und zu wenige Gewinner kennt.
CETA würde politische Debatten in intransparente Gremien verschieben, wäre ein Paradies für Lobbyisten und international tätige Konzerne, würde demokratisch beschlossene Regeln von Staaten unterwandern und ggf. horrende Schadensersatzforderungen von Firmen nach sich ziehen gegenüber Staaten, die legitimerweise für das Allgemeinwohl der Menschen eintreten.
Es gibt das verankerte und verbriefte Grundrecht auf Wahrung der Gesundheit, von Umweltschutz u.v.a.m.!
Es gibt aber kein Grundgesetz auf ungestörtes Profitmachen von international tätigen Konzernen!
Wir brauchen einen gerechten und fairen Welthandel! Um dieses zu erreichen, muss CETA verhindert werden. Dies ist der erste Schritt in diese Richtung!
Mitgeteilt von der Plattform Stop TTIP & CETA im Februar 2020
Quellenangaben: • Agricultural and Rural Actors Working Together for Good Food, Good Farming and Better Rural Policies in the EU • ATTAC, CETA: Réponses à 10 contre-vérités • Center for International Environmental Law, CETA threatens EU and Member States • Collectif Français de 30 organisations ayant oeuvré dans le dossier CETA – document transmis à l’Assemblée Nationale Française • Corporate Europe Observatory • Fédération Nationale des Syndicats d’exploitants agricoles (FNSEA), Confédération paysanne et Coordination rurale • Foodwatch : The role of Treaty Committees in CETA and other recent EU free trade agreements • Friends of the Earth Europe and International, Tribunaux VIP. 10 histoires de détournement de la justice par les riches et les multinationales • Milieudefensie • Netzwerk Gerechter Welthandel • Trade Campaigner/Responsable de la campagne sur le commerce international • The Council of Canadians / Le Conseil des Canadiens • Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung • Seattle to Brussels Network
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