Am 18. Oktober befasste sich die OGBL-Exekutive mit den Reden des Staatsministers zur Lage der Nation und des Finanzministers zum Staatshaushalt 2022. Der OGBL kann die allgemeine Ausrichtung der beiden Reden gutheißen. Die Einzelanalyse der Vorschläge und Darstellungen wirft aber Mängel an Konkretem, Widersprüche und einige schwerwiegendere Kritikpunkte auf.
Der OGBL begrüßt die erklärte Ablehnung einer Austeritätspolitik. Ein Rückfall in eine solche Politik hätte in der Tat verhängnisvolle wirtschaftliche, soziale und politische Konsequenzen. Damit aber der deklarierte Verzicht auf eine Austeritätspolitik auch nach den Wahlen 2023 Bestand haben wird, fordert der OGBL alle Parteien des Parlaments dazu auf, eine Politik der Austerität nicht nur für den Rest dieser Legislatur abzulehnen! Es darf sich nach den Wahlen 2023 nicht das wiederholen, was nach der Wahl 2013 passierte — Stichwort „Zukunftspak“!
Der OGBL stellt fest, dass trotz Covid-Pandemie die öffentlichen Finanzen Luxemburgs gesund sind. Die vorgelegten Zahlen und Prognosen der Regierung weisen weder ein Ungleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben noch einen Schuldenstand auf, der in irgendeinem Sinn Sorge bereiten müsste.
Der OGBL teilt die Position der Regierung, dass angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen eine hohe staatliche Investitionstätigkeit gefahren werden muss und eine Sparpolitik völlig fehl am Platz wäre.
Der OGBL ist Verfechter einer konsequenten Klimapolitik und er unterstützt die öffentliche Investitionstätigkeit zum Erreichen der gesteckten Klimaziele. Die von der Regierung vorgeschlagene Investitionsanstrengung, insbesondere in den Bereichen des öffentlichen Transports und des Wohnens, ist allerdings zu niedrig angesetzt.
Der OGBL kritisiert in Bezug auf die Klimapolitik eine Reihe politischer Widersprüche der Regierung. Sehr bedenklich ist u.a. die vom Staatsminister wiederholt demonstrative Betonung der notwendigen Vernetzung der Klimapolitik mit der sozialen Frage und dem sozialen Dialog, wenn gleichzeitig die konkrete Politik der Regierung hiervon sehr weit entfernt ist oder sie sogar das Gegenteil macht. Seit Jahren bemängelt der OGBL u.a. die fehlende soziale Staffelung der staatlichen Prämien im Wohnbereich. Ein Umstand, der nicht nur einkommensabhängige energetische Frakturen und neue soziale Ungleichheiten nach sich zieht, sondern darüber hinaus einen kontraproduktiven Verlust an klimapolitischer Wirksamkeit verursacht. Dieselbe Kritik gilt ebenfalls für die staatlichen Prämien im Zusammenhang mit der Elektromobilität.
Und was ist von der an Effekthascherei grenzende Ankündigung eines „Klima-Bürgerrats“ zu halten, wenn die Regierung in Klimafragen zugleich den sozialen Dialog mit der luxemburgischen Gewerkschaftsbewegung und der Zivilgesellschaft mit Füßen tritt? Letztes Beispiel: Das Ausladen der national repräsentativen Gewerkschaften aus dem im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Konsultationsorgan. Die luxemburgische Gewerkschaftsbewegung vertritt hunderttausende Bürger und Bürgerinnen in sozialen und gesellschaftlichen Fragen. Auch in solchen, die im direkten Zusammenhang mit der Klimaschutzpolitik stehen. Wir brauchen keine Showdemokratie, sondern eine institutionalisierte reale und repräsentative Mitbestimmung, die die wirkliche Breite und Tiefe der Zivilgesellschaft vertritt!
Bei der Analyse der Regierung der Ursachen der Wohnkrise und der Festlegung von prioritären Maßnahmen sind Fortschritte erkennbar. Die verheerende Auswirkung der Spekulation und das sehr hohe Defizit an Wohnungen in öffentlicher Hand rücken immer stärker in den Fokus der politischen Diskussion. Und das ist gut so. Aber auch hier gibt es Widersprüche zwischen den Ansagen und dem konkreten gesetzgeberischen Handeln der Regierung.
Die Ankündigung, dass mittel- und langfristig die öffentliche Hand zum „gréissten Akteur am Logement“ wird, ist überzogen. Eine solche Perspektive ist bedauerlicherweise außer Reichweite angesichts zu bescheidener Gesetzesinitiativen, wie beispielsweise der „pacte logement 2.0“ oder der vom Finanzminister viel zu niedrig angesetzten Bereitstellung öffentlicher Finanzmittel für eine offensivere Politik des Erwerbs von Land bzw. Bauland und der Schaffung öffentlichen Wohnraums.
Und sollte das aktuelle Reformvorhaben zum Mietvertrag nicht wesentlich abgeändert werden, wird der vom Staatsminister angekündigte „effektiv plafonnéierte Loyer“ eine leere Worthülse bleiben.
Der OGBL begrüßt die im Rahmen der Grundsteuerreform in Aussicht gestellte Steuermaßnahme gegen das spekulative Zurückhalten von Bauland und Leerstehen von Wohnraum. Der, für „spätestens in zwölf Monaten“ versprochene Gesetzesvorschlag wird zeigen, ob die Regierung bereit ist, mehr als nur Steuerkosmetik zu machen.
Der OGBL bedauert, dass die Regierung von einer progressiven Besteuerung gegen die preistreibende exzessive private Anhäufung und Konzentration von Bauland, potentiellem Bauland und Immobilien in den Händen weniger absieht. Der OGBL fordert, dass neben diesem Punkt auch die aktuellen krisenverschärfenden steuerlichen Vergünstigungen, wie beispielsweise die „amortissements accélérés“ oder bei der Besteuerung des Wertzuwachses einen prioritären Stellenwert in der von der Regierung angekündigten allgemeinen Steuerdiskussion bekommen. Der OGBL erinnert daran, dass die steuerlichen Forderungen des OGBL gegen die Spekulation im Wohnungsbereich sich weder auf das private Eigenheim noch auf den Kleinbesitz an Bauland oder Immobilienbesitz beziehen. Der OGBL fordert u.a., dass die Grundsteuer für die eigene Wohnung nicht erhöht wird!
Mit der Wiedereinführung der Indexierung des Kindergeldes setzt die Regierung nach sieben Jahren (!) einen ersten Teil des Abkommens mit den Gewerkschaften aus dem Jahre 2014 um. Wenngleich es der OGBL begrüßt, dass die Regierung die Forderung des OGBL für die Berücksichtigung der im Oktober anfallenden Indextranche eingelöst hat, so bleibt der bittere Nachgeschmack der allgemeinen Entwertung des Kindergeldes durch die Zeitverzögerung und durch die noch fehlende Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung. Es besteht also weiterhin Handlungsbedarf. Der OGBL hält seine Forderung einer nachträglichen Aufwertung des Kindergelds um 7,7% aufrecht und verlangt, dass auch die anderen Familienleistungen wieder indexiert werden.
Positiv sind die angekündigten Gratisleistungen bei den Maisons-relais und für das Essen in den Schulkantinen. Es fehlen allerdings jegliche sozialen Kompensationsleistungen für die Kinder aus Grenzgängerhaushalten, deren Eltern bekanntlich einen hohen Beitrag für die Steuereinnahmen Luxemburgs leisten.
Nachdem sie seit 2009 (!) nicht mehr erhöht wurde, verpuffte 2021 die bescheidene 10%ige Anpassung der Teuerungszulage („allocation de vie chère“) durch die von der Regierung in sie eingebuchte „soziale Kompensation“ für die CO2-Steuer. Dieser Affront darf sich im Zusammenhang mit der jetzt angekündigten Erhöhung von 200€ der Teuerungszulage nicht noch einmal wiederholen. Der OGBL fordert die Regierung dazu auf, dass die annoncierte Erhöhung der CO2-Steuer über einen anderen Weg sozial kompensiert werden muss. Angesichts der explodierenden Energiepreise muss sogar überlegt werden, ob diese nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden sollte.
Der OGBL erinnert ebenfalls daran, dass es nicht hinnehmbar ist, das Prinzip des „pollueur-payeur“ auf mietende Haushalte anzuwenden, die keinen Einfluss auf die energetische Infrastruktur der Mietwohnungen haben. Die Lage der sozialen Energiefraktur verschärft sich jetzt angesichts der aktuellen Explosion der Energiepreise.
Für den OGBL ist weder die Indexierung der CO2-Steuer, noch eine Anpassung des Steuerkredits, noch eine substantiellere Anpassung der Teuerungszulage vom Tisch. Die Regierung ist gefordert.
Befremden löst die Aussage des Finanzministers aus, dass die Steuerreform 2017 die „sozialste in der luxemburgischen Geschichte“ gewesen ist. Diese Aussage ist völlig aus dem Kontext gerissen. In Wirklichkeit waren die „Steuererleichterungen“ der Reform 2017 nichts anderes, als die Rücknahme der zusätzlichen Steuerbelastungen, die die Austeritätspolitik nach der Finanzkrise 2008/2009 bis inklusive des „Zukunftspaks“ im Jahre 2014 verschuldete und die in erster Linie die unteren und mittleren Einkommensschichten und ihre Kaufkraft schwer trafen.
Die grundsätzlichen sozialen Ungerechtigkeiten des luxemburgischen Steuersystems wurden mit der Steuerreform 2017 nicht abgeschafft, noch abgeschwächt. Mit Blick auf die kommende Steuerdiskussion bleiben sie hochaktuell. Der OGBL widerspricht dem Finanzminister auch bezüglich seiner Aussage, dass es jetzt zu keinen Steuererhöhungen kommen wird: durch den weiterhin fehlenden Mechanismus der Anpassung der Steuertabellen an die Inflation erhöht sich nach 2017 erneut die reale Steuerlast, die in erster Linie die unteren und mittleren Einkommensschichten treffen.
Zu vielen Themen schließlich war in den zwei Reden von letzter Woche überhaupt nichts zu hören: Sozialversicherungen, Reform des Kollektivvertragsgesetzes, Arbeitsrecht im Allgemeinen (bis auf die im Prinzip zu begrüßende Ankündigung eines Rechts auf Teilzeitarbeit, die aber bezüglich der praktischen Umsetzung viele Fragen aufwirft), Sicherung der Arbeitsplätze und der beruflichen Existenzen, Mitbestimmung in den Betrieben…
Auch hier besteht überall Handlungsbedarf. Gerade jetzt.
Der OGBL wird darauf bestehen, dass diese Themen in den kommenden Wochen in der jetzt endlich für Dezember angekündigten Sitzung der Tripartite und in den drei noch ausstehenden, gesetzlich vorgesehenen, CPTE-Sitzungen in diesem Jahr in Angriff genommen werden.
Mitgeteilt vom OGBL am 21. Oktober 2021
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