1. Mai 2013

Zur Überwindung der Wirtschafts- und Sozialkrise braucht es einen starken Sozialstaat, den Respekt vor der Arbeit und deren gerechte Entlohnung.

Jean-Claude Reding, président de l’OGBL
Jean-Claude Reding, Präsident des OGBL

Der Tatbestand ist hartnäckig und zeigt, dass zur Bewältigung der Krise, die nun schon seit fünf Jahren weltweit ihr Unwesen treibt, die angewandten Austeritätsmaßnahmen, die vom Abbau der sozialen Sicherheit über den Druck auf das Lohnniveau bis hin zur Deregulierung der Arbeit reichen, nichts anderes bewirken als die soziale Krise zu verschärfen, dass sie schädlich für die Wirtschaft sind und dass sie nicht dazu beitragen die öffentlichen Finanzen ins Gleichgewicht zu bringen.

2013 werden wir mindesten 48 Millionen Arbeitslose in den industrialisierten OECD-Mitgliedsländern haben. In vielen Ländern sind hauptsächlich die jungen Menschen Opfer der Arbeitslosigkeit und sie werden noch zusätzlich von der Prekarisierung der Arbeit betroffen. Diese Tendenzen gelten auch für Luxemburg und die Großregion.

Die in Gang gesetzten Austeritätsmaßnahmen bremsen die Wirtschaftsaktivität und wirken sich demzufolge negativ auf die Beschäftigung und die Steuereinnahmen aus. Auch dies ist in Luxemburg und der Großregion der Fall.

In fast allen Ländern der Europäischen Union spüren wir den ständigen Druck auf die sozialen Sicherheitssysteme, die im letzten Jahrhundert eingeführt wurden – es handelt sich dabei um die Familienleistungen, die Leistungen der Kranken- und Rentenversicherung, die Arbeitslosenentschädigungen und die Hilfen bei Arbeitslosigkeit, doch auch die Leistungen, die Ende letzten Jahrhunderts in vielen Ländern eingeführt wurden wie etwa die Pflegeversicherung, die verschiedenen Zuschläge für behinderte Menschen oder noch die Zuschläge, die ein Mindesteinkommen garantieren. Diese Politik, zu deren Rechtfertigung die unterschiedlichsten ideologischen Vorwände bemüht werden, die aber ausschließlich auf Überlegungen zu den öffentlichen Finanzen beruht, ist eine rückschrittliche Politik, vor allem eine Politik des sozialen Rückschritts, die die sozialen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten erhöht und ebenfalls die soziale Unsicherheit, die sich nun flächenbrandmäßig in unseren Gesellschaften ausbreitet. Es handelt sich dabei ebenfalls um einen groben wirtschaftlichen Fehler, der durch seine negativen Auswirkungen auf die Kaufkraft der großen Mehrheit der aktiven und pensionierten Arbeitnehmer die Krise noch zusätzlich verschärft.

Der Druck auf die Löhne durch die systematische Anwendung einer Politik, die darauf hinzielt die Tarifverhandlungen sowie die Instrumente zur Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung, wie etwa die Lohnindexierung in Luxemburg, zu schwächen, hat ebenfalls negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, da sie die Binnennachfrage und die Investitionen seitens der Haushalte abbremst sowie die Steuereinnahmen mindert. Diese Politik wird mit dem trügerischen Vorwand der Wettbewerbssteigerung, die mittelfristig zu mehr Beschäftigung führt, gerechtfertigt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hängt jedoch in höherem Maße von deren Produktivität, Effizienz und Innovationsfähigkeit sowie von der Qualität der Produkte und Dienstleistungen, den Infrastrukturkosten, den Rohstoffpreisen ab. Es sind dann die Motivation der Arbeitnehmer – die von den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen abhängig ist – sowie langfristige Investitionen statt kurzfristiger Profitgier, die sich auf erstgenannte Faktoren positiv auswirken.

Um die Krise bewältigen zu können, brauchen wir eine Politik, die die Wirtschaft in den Zukunftsbereichen begleitet, unterstützt und stimuliert und dies im Einklang mit den hochgehaltenen Zielen der Nachhaltigkeit, auf die so oft in den großen internationalen und vor allem europäischen politischen Erklärungen hingewiesen wird.

Es gibt Alternativen zu der verheerenden europäischen Politik, diese bedingen allerdings eine gezielte voluntaristische Politik der Wirtschaftsankurbelung auf europäischer Ebene und Investitionen in zukunftsträchtige Sektoren. Sie müssen auf den Binnenmarkt sowie die regionale Entwicklung ausgerichtet sein und nicht einzig und allein auf den globalen Markt. Sie verlangen eine echte europäische Industriepolitik. Und sie fordern eine Geldpolitik, die nicht nur die Stabilität im Auge hat, sondern die auch den sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die währungspolitische Entscheidungen nach sich ziehen können, Rechnung trägt. Sie setzen auf Motivation der Arbeitnehmer und Innovationskraft und fördern die soziale Demokratie und den Sozialdialog. Sie befürworten die Entstehung eines modernen Sozialstaats mit Qualitätsleistungen für alle mit dem Ziel des Erhalts des sozialen Zusammenhalts und der Vermeidung wachsender Ungleichheiten.

2010 hat sich die Luxemburger Regierung auf die politische Orientierung der OECD und der Europäischen Kommission ausgerichtet. War es 2006 noch möglich, wenn auch schwierig, einen schwachen Kompromiss in der Tripartite zu finden, so ist dies nun gänzlich unmöglich. Gestärkt durch die Mobilisierung vom 16. Mai 2009, konnten wir allerdings Einfluss auf die Entscheidungen nehmen und die von Budgetminister Frieden im April 2010 vorgestellten Vorschläge zum Scheitern bringen.  Aber während der vergangenen Jahre ging der Kampf für und gegen die Ausrichtung auf Austerität weiter.

Und seither haben wir mit Demos, gewerkschaftlichen Aktionen, Verhandlungen, durch Aufklärungsarbeit und durch konkrete Vorschläge eine derart harte Austeritätspolitik, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, verhindern können. Dennoch spüren viele Arbeitnehmer und Rentner die Auswirkungen dieser Politik an jedem Monatsende.

Wir haben die Verluste durch die ständigen Verschiebungen der Indextranchen nicht vergessen. Wir haben den Rentenklau durch die Abschaffung des Ajustement nicht vergessen.

Wir haben die Erhöhung der Eigenbeteiligung bei den Leistungen der Krankenversicherung nicht vergessen, ebenso wenig wie die schleichende Abwertung aller Arten von Familienleistungen und die diskriminierende Politik gegenüber den Grenzgängern in diesem Bereich.

Wir kämpfen für die integrale Wiederherstellung der Indexierung der Löhne und Renten, ohne irgendwelche Deckelung.

Wir verteidigen heute die Kollektivverträge in der Industrie, der zivilen Luftfahrt, des Bausektors und morgen die des Reinigungs- und Sicherheitsbereichs und der Banken.

Wir werden uns verstärkt in die vorgesehene Debatte zur Steuerpolitik im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit einbringen. Die Steuerpolitik der Regierung war in den vergangenen Jahren gelinde gesagt inkohärent und tendierte meist zu Ungunsten der Arbeitnehmer, insbesondere der kleinen und mittleren Einkommen.

Wir werden sehr wachsam sein, was die soziale Sicherheit mit all seinen Aspekten anbelangt.

Wir verlangen Reformen, welche die Rechte der Arbeitnehmer stärken, die sie besser gegen jegliche Willkür schützen, welche die soziale Demokratie ausbauen, d.h. die Demokratie am Arbeitsplatz.

Wir haben Vorschläge zur Vorbereitung der Zukunft, zur Krisenbewältigung. Wir wollen über diese Vorschläge diskutieren, gegebenenfalls verhandeln. Gesagt sei aber, dass wir was die Fortsetzung oder gar die Verschärfung der Austeritätspollitik anbelangt, unnachgiebig bleiben werden. Diese Politik ist nicht nur in Europa gescheitert, sie ist auch in Luxemburg gescheitert.

Wir werden unseren Sozialstaat bis aufs Äußerste verteidigen, da er wesentlich dazu beiträgt, jedem ein würdiges Leben zu garantieren, da er notwendig ist, um jedem Schutz gegen Lebensrisiken zu bieten, da er unumgänglich ist für den sozialen Zusammenhalt in einem Land, das sich schnell wandelt.

Es ist dies die Botschaft, die der OGBL an diesem 1. Mai 2013 mit aller Kraft und  Entschlossenheit vermittelt.

Jean-Claude Reding
Nationalpräsident des OGBL