Der Europpäische Rat wird anlässlich seines Gipfeltreffens vom 27. und 28. Juni über die soziale Dimension Europas diskutieren. Ein Zeichen des Umdenkens? Macht sich bei den europäischen Staats- und Regierungschefs etwa die Einsicht breit, dass die neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik abgestoppt werden muss, um ein noch schlimmeres soziales und politisches Desaster zu verhindern? Soll endlich dem stattgegeben werden, wofür sich der Europäische Gewerkschaftsbund und der OGBL stark machen, nämlich die soziale Dimension als gleichberechtigt zu behandeln und sie nicht länger der Finanz- und Wirtschaftspolitik als zweitrangig unterzuordnen?
Nichts ist unsicherer als das. Wenn sich nämlich bei seiner Junitagung der Europäische Rat für eine politische Marschroute entscheiden sollte, die die nationale Kompetenz der europäischen Länder in der Sozial-, Lohn- und Arbeitsmarktpolitik dem Diktat und den Instrumenten der neoliberalen europäischen Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik unterwerfen und unterordnen soll, dann bleibt die europäische Aufwertung der sozialen Dimension auf der Strecke. Statt einer Harmonisierung nach oben, droht dann die soziale Konvergenz nach unten.
Das wäre ein weitere Katastrophe für die europäische Bevölkerung. Der OGBL ruft deshalb die luxemburgische Regierung auf, sich klar und deutlich für eine europäische Integration der Sozialpolitik einzusetzen, die den gleichberechtigten Stellenwert der sozialen Dimension anerkennt und die sich von der Logik des Sozial- und Lohndumpings in Europa distanziert.
Der OGBL ist gegen ein Europa, das die gewerkschaftliche Tarifautonomie vernichten will, das von oben herab die Lohnsysteme bestimmen will und Leitlinien für die Lohnverhandlungen diktieren will. Der OGBL lehnt eine Europapolitik ab, die uns weismachen will, dass der beste Weg die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen darin bestünde, den Arbeitsmarkt „flexibler“zu gestalten, d.h. die gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeitsverträge, die Arbeitszeiten und die Arbeitslosgkeit aufzuweichen. Und der OGBL will kein Europa, das die staatlichen Leistungen und die öffentlichen Systeme der Sozialen Sicherheit weiter nach unten revidieren will.
Die Kritik wird lauter in Europa. Über die Gewerkschaftsgrenzen hinaus. Selbst in den Kreisen des Kapitals kommen Zweifel auf, ob die Austeritätspolitik sowie das Lohn- und Sozialdumping der richtige Weg sind, um die wirtschaftliche Erholung und die Gesundung der staatlichen Finanzen herbeizuführen. Vor kurzem forderte sogar der erste Wirtschaftsexperte des Internationalen Währungsfonds (IWF) die „Stärkung der privaten Nachfrage“, um Europa aus der Rezession zu führen. Im Januar hatte er bereits auf massive Fehlkalkulationen bei der Austeritätspolitik hingewiesen.
Ganz anders die UEL, die im Vorfeld der Diskussion im Parlament über die Kompetitivität dazu aufrief, das luxemburgische Sozialmodell abzuwürgen. Der Index soll liquidiert werden, der gesetzliche Mindestlohn nach unten zurechtgestutzt und die Sozialversicherungen auf Kosten der Versicherten verschlechtert werden. Mit der Forderung, dass sich die Löhne nicht mehr an der Produktivität, sondern an den Löhnen der Nachbarländer orientieren sollten, hat die UEL sogar einseitig das Tripartiteabkommen von 2006 aufgekündigt. Das Patronat im luxemburgischen Bauwesen liegt bereits voll und ganz auf dieser Linie und ist im Begriff einen schweren Sozial-konflikt bei den Kollektivvertragsverhandlungen auszulösen.
Der OGBL begrüßt es, dass sich das luxemburgische Parlament die Thesen der UEL nicht zu eigen gemacht hat und dass es nicht die Lohnfrage in den Mittelpunkt seiner Analyse der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Luxemburgs gestellt hat. Man ist geneigt die Frage zu stellen, warum eigentlich im Januar 2012 fast alle Parlementarier für die Indexmanipulationen und die Kaufkraftverluste bis 2014 gestimmt haben.
Die 66.000 Mitglieder des OGBL erwarten jedenfalls von ihrer Gewerkschaft, dass sie in Luxemburg den Lohn- und Sozialabbau verhindert und gleichzeitig für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgt. Sie wissen ganz genau, dass es besonders in Krisenzeiten für das gesamte Salariat darauf ankommt, hinter der stärksten Gewerkschaft zu stehen, um erfolgreich die Angriffe auf den sozialen Besitzstand abwehren zu können. Sie wollen einen OGBL, der über den Weg von Verhandlungen mit Regierung und Patronat, diese Aufgabe erfüllt.
Die Mitglieder des OGBL wollen aber keine Scheinverhandlungen und keinen Scheinsozialdialog. Sie wollen keinen OGBL, der sich an einen Verhandlungstisch setzt, wenn nicht gleichzeitig die wichtigste Frage geklärt ist. Nämlich die, die danach fragt, was verhandelt werden soll. Der Katalog der UEL ist jedenfalls nicht verhandelbar.
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