Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen erreicht eine neue historische Rekordhöhe. Laut der internationalen Hilfs- und Entwicklungs-organisation OXFAM wird im Jahr 2016 die Schieflage bei der Verteilung des Gesamtvermögens in der Welt eine unglaubliche Barriere durchstossen. 1% der Weltbevölkerung wird reicher sein als die übrigen 99%! Und die 80 reichsten Menschen der Welt werden mehr besitzen als die unteren 50% der Erdenbürger. Seit dem Krisenausbruch 2009 ist ihr Vermögen um annähernd 19% (!) in die Höhe geschnellt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt für 2015 ein weltweites Wirtschaftswachstum von 3,5% voraus. Die Frage, wie dieser durch menschliche Arbeit geschaffene wirtschaftliche Mehrwert verteilt werden wird, ist angesichts der obengenannten Statisitk beantwortet.
Europa ist Teil dieses Ganzen und bewegt sich in die gleiche Richtung. Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau, soziale Armut und Ungleichheit auf dem Vormarsch. Die europäische Wirtschaft tritt auf der Stelle oder steigt bestenfalls nur leicht an. Das Investitionsniveau liegt viel zu tief und es droht die unheilvolle Deflation der Preise. In ihrem „Examen annuel de la Croissance 2015“ stellt die Brüsseler Kommission vieles davon selber fest, nur eines macht sie nicht. Sie stellt die wichtigste Frage nicht: Könnte es nicht sein, dass die von ihr seit Jahren verfolgte Politik der Austerität, des Lohn- und Sozial-dumpings und der einseitig auf Schuldenabbau und auf Ausgabensenkung getrimmten öffentlichen Finanzen die Hauptursache für die marode Situation Europas sein könnte. Dieses Fehlen jeglicher kritischer Überprüfung des eigenen Tuns führt dazu, dass die Kommission den europäischen Menschen nichts anderes als das „Weiter so, wir sind auf dem richtigen Weg“ anzubieten hat.
Der OGBL hat am 26. Januar die luxemburgische Regierung dazu aufgefordert, konsequent für eine neue politische Orientierung zu wirken und sich für die Abänderung jener Spielregeln im sogenannten „Europäischen Semester“ einzusetzen, die gegenwärtig die finanziellen Spielräume der einzelnen Staaten ersticken bzw. viel zu stark einengen. Der europäische Binnenmarkt braucht dringend ein massives Anziehen der Nachfrage. Diese muss über zwei Wege herbeigeführt werden. Zum einen über den Schub öffentlicher Investitionen für eine zukünftige, karbonarme und ressourcenschonende wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Und zum anderen über die Ankurbelung der Kaufkraft der Haushalte. Verschlechterungen im Bereich der Sozialen Sicherheit, bei den Löhnen und bei der Verteilung der Steuerlast sind abzustoppen und umzukehren.
Was für Europa gilt, gilt ebenfalls für Luxemburg. Das Gejammere über den Zustand der öffentlichen Finanzen ist völlig fehl am Platz. Gemäß Eurostat (3. Trimester 2014) hat Luxemburg nach Estland die zweitniedrigste Staatsschuld (22,9% des BIP) in Europa (Durchschnitt: 86,6%) und hat sogar im vergangenen Jahr die Staatsschuld um 5% abgesenkt. Nur Polen und Irland waren „besser“! Der OGBL bleibt deshalb bei seiner Meinung, dass das Sparpaket der Regierung, das zu über 80% die Haushalte trifft, überflüssig ist.
Das Abkommen, das die national repräsentativen Gewerkschaften mit der Regierung am 28. November 2014 unterschrieben haben, schwächt die negativen Konsequenzen des Sparpakets ab, mehr tut es nicht. Der OGBL erwartet von der Regierung, dass sie das Abkommen respektiert und zur zügigen Umsetzung jener Punkte übergeht, die noch umzusetzen sind, wie beispielsweise die Einführung eines Rechts auf Teilzeitarbeit mit kombinierter Teilrente oder die Anhebung der Entschädigung beim Elternurlaub. Es wird vom OGBL keine Gegenleistungen für das Abkommen vom 28. November geben. Die Gegenleistung ist schon vollständig eingelöst worden. Nämlich durch die Befriedung des Konflikts im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haushalts für 2015.
Deshalb lehnt der OGBL jegliche falsche Vermischung dieses Abkommens mit jenem strikt ab, das die Regierung am 14. Januar 2015 mit dem Patronat abgeschlossen hat. Und nicht nur das. Letzteres Abkommen beinhaltet Absichten, die für das Salariat in Luxemburg inakzeptabel sind. Der OGBL wird weder eine Verschlechterung der Arbeitszeiten noch des gesetzlichen Mindestlohns für qualifizierte Arbeit zulassen. Die Regierung täte besser daran, eine gesetzgeberische Vorsicht walten zu lassen, um allgemein den sozialen Dialog im luxemburgischen Kollektivvertragswesen zu fördern. Sie sollte sich ebenfalls nicht dazu hinreißen lassen, einseitig Partei für das Patronat des Reinigungssektors zu ergreifen, in dem zurzeit ein schwerer Vertragskonflikt stattfindet. Übrigens, Luxemburg ist europäischer Spitzenreiter beim Armutsrisiko für Menschen in Arbeit (working poor). Es ist deshalb an der Zeit über eine strukturelle Aufwertung des gesetzlichen Mindestlohns nachzudenken.
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