Seit über 125 Jahren ist der Erste Mai der zentrale, weltweite Gedenk- und Aktionstag der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung insgesamt. In vielen Ländern, auch in Luxemburg, ist der 1. Mai heutzutage ein gesetzlicher Feiertag. Diese Tatsache hat den ursprünglichen Zweck des 1. Mai etwas in den Hintergrund treten lassen, auch wenn er außer Zweifel weiter jedes Jahr ein zentrales Datum im Kalender der gewerkschaftlichen Aktion bleibt. Wir werden auf den folgenden Seiten die Ursprünge der 1. Mai-Feier skizzieren und etwas ausführlicher auf die Geschichte der 1. Mai-Veranstaltungen der freien Gewerkschaften in Luxemburg eingehen.
Wieso der 1. Mai?
Paradoxerweise hängt die Festlegung des 1. Mai als internationalem Tag der Arbeiterbewegung eng zusammen mit einem anderen Gedenktag: dem des 14. Juli, d.h. dem französischen Nationalfeiertag. Am 14. Juli 1889, also genau hundert Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, der als Startschuss der französischen Revolution gilt, tagt ein Internationaler Arbeiterkongress in Paris.
Bei diesem wird nicht nur die Gründung der sog. Zweiten Internationale (die heutige Sozialistische Internationale) beschlossen, sondern auch die Veranstaltung eines weltweiten Demonstrationstags für den Achtstundentag (zu einem Zeitpunkt, als in der Regel oft 12 oder sogar 16 Stunden täglich gearbeitet wurde). In einer Resolution des Delegierten Raymond Felix Lavigne, Mitglied des Vorstands der französischen Fédération nationale des syndicats (Vorläufer der CGT) und Vertreter des Parti ouvrier français, wird vorgeschlagen:
„Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen (…). In Anbetracht der Tatsache, dass eine solche Kundgebung bereits von dem amerikanischen Arbeiterbund [American Federation of Labor] (…) für den 1. Mai 1890 beschlossen worden ist, wird dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Kundgebung angenommen.“1
Wieso hatte die AFL eine nationale Kundgebung auf den 1. Mai festgelegt? Weil vier Jahre zuvor, 1886, bereits am gleichen Datum ein nationaler Generalstreik für den Achtstundentag, mit über 200.000 Teilnehmern, in den Vereinigten Staaten von Amerika stattgefunden hatte 2. Dieser wurde in Chicago in den darauffolgenden Tagen fortgesetzt. Am 3. Tag kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und der Polizei, bei denen zwei Arbeiter getötet wurden. Schließlich, am 4. Mai, kommt es zur Eskalation: eine Bombe explodiert am Rande einer friedlichen Demonstration auf dem Haymarket Square, im Anschluss kommt es zu gewalttätigen Gefechten zwischen der Polizei und den Protestierenden. Sieben Polizisten und über 20 Arbeiter werden getötet, zahlreiche Teilnehmer werden verletzt. In der Folge werden acht Anarchisten, die meisten von ihnen deutsche Einwanderer, ohne konkrete Beweise wegen „Verschwörung“ verurteilt, vier von ihnen werden gehenkt, einer entkommt der Todesstrafe durch Selbstmord.
Die erste 1. Mai-Feier 1890
Der erste internationale Aktionstag der neuen Internationale ist ein voller Erfolg. In zahlreichen Ländern und Städten kommt es zu Streiks und Massenkundgebungen. Allein in London beteiligen sich 300.000 Arbeiter an einer Kundgebung, 100.000 in Paris und Barcelona, 50.000 in Marseille.
Auch in Luxemburg findet eine Kundgebung zum 1. Mai 1890 statt, allerdings erst am darauffolgenden Sonntag, dem 4. Mai (der 1. Mai war wohlverstanden noch kein Feiertag). Initiator ist keine der zu diesem Zeitpunkt bereits existierenden kleinen Gewerkschaften, wie den später im LAV bzw. OGBL aufgegangen Verbänden der Brauereiarbeiter und der Buchdrucker, sondern der kurzlebige „Centrale Arbeiter-Verein“. Etwa 200 Bergarbeiter aus dem Süden des Landes beteiligen sich an einer Saaldemonstration im hauptstädtischen Hotel Medinger. Thema der Kundgebung ist hier jedoch nicht der Achtstundentag, sondern die Forderung des allgemeinen aktiven und passiven Wahlrechts (das erst 1919 eingeführt wird).
Auch in den zwei darauffolgenden Jahren finden zum 1. Mai Arbeiterdemonstrationen statt, so 1891 ein Streik der Grubenarbeiter in Rodingen und 1892 eine weitere Kundgebung gegen den Zensus im Hotel Medinger. Danach schlief die 1. Mai-Tradition für einige Jahre ein, obwohl die Zweite Internationale 1891 beschlossen hatte, aufgrund der großen Beteiligung im Vorjahr ab 1892 jedes Jahr zum 1. Mai einen internationalen Aktionstag durchzuführen.
Die 1. Mai-Feier etabliert sich in Luxemburg
Erst ab 1900 finden erneut 1. Mai-Veranstaltungen in Luxemburg statt, zunächst beschränken sich diese jedoch auf die italienische Immigration im Süden des Landes, vor allem in Düdelingen. 1903 organisiert zum ersten Mal der sozialdemokratische Verein des Dr. Michel Welter eine 1. Mai-Demonstration in Luxemburg-Stadt. In den Folgejahren finden in immer mehr Ortschaften Umzüge und Kundgebungen zum 1. Mai statt.
Nunmehr beteiligt sich die auch die noch junge Gewerkschaftsbewegung (Deutscher Metallarbeiterverband und Gewerkschaftskartell) an den Veranstaltungen und die gewerkschaftliche Forderung des Achtstundentags steht ab 1904 auch in Luxemburg im Zentrum der Forderungen. Der Achtstundentag wird schließlich mit der großherzoglichen Verordnung vom 14. Dezember 1918 erreicht – der erste große Erfolg der zwei Jahre zuvor, mitten in der Notsituation des Weltkrieges und der deutschen Besatzung, gegründeten freien Gewerkschaften Berg- und Hüttenarbeiterverband (BHAV) und Metallarbeiterverband (MAV), die die ersten wirklichen Massengewerkschaften Luxemburgs waren.
Ab 1918 sind es auch die freien Gewerkschaften (zusammen mit dem Landesverband der Eisenbahner und einiger kleineren Gewerkschaften), die die zentralen 1. Mai-Kundgebungen veranstalten – zunächst im Rahmen der Confédération luxembourgeoise du travail (CLT), dann durch die im September 1919 gegründete Gewerkschaftskommission, die in der Zwischenkriegszeit auch als Union luxembourgeoise des fédérations syndicales (ULFS) auftritt, und aus der schließlich, nach dem 2. Weltkrieg, die Confédération générale du travail (CGT) hervorgeht.
Besonders imposant sind die 1. Mai-Aufzüge im Jahr 1920: die Verbandszeitung Der Proletarier3 spricht von je 7.000 Teilnehmern in Esch und in Luxemburg-Stadt, je 3.000 in Düdelingen und Differdingen, je 2.000 in Petingen, Rodingen und Rümelingen… insgesamt über 27.000 Arbeiter! Neben der Teilnehmerzahl steigt auch die Radikalität der Forderungen: unter dem Eindruck von Revolutionen und Aufständen in Rußland, Deutschland, Italien oder Ungarn fordern die Gewerkschaften nun unter anderem die „Sozialisierung der Produktions-, der Tauschmittel und die Nationalisierung der Verkehrsmittel“ sowie „die Einsetzung von Arbeiterräten, die mit so weitgehenden Befugnissen ausgestattet sind, dass sie Träger des neuen Wirtschaftsleben werden“.
In den Folgejahren werden solche Teilnehmerzahlen nie wieder erreicht. Der gescheitere Märzstreik 1921 in der Hüttenindustrie und die in der Folge durchgeführten Repressionsmaßnahmen (Maßregelungen und Entlassungen der Streikenden, Abschaffung der Arbeiterausschüsse…) führen zu einem starken Rückgang sowohl der Mitgliederzahlen als auch der Mobilisierungsfähigkeit der freien Gewerkschaften, die erst nach und nach behoben wird.
Der 1. Mai wird gesetzlicher Feiertag
Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg veranstaltete die Deutsche Arbeitsfront („Einheitsorganisation“ der Arbeitnehmer und Arbeitgeber) Großveranstaltungen zum „nationalen Feiertag des deutschen Volkes“ (vormals dem „Tag der nationalen Arbeit“) im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda. Gänzlich seines Bezugs zur Arbeiterbewegung beraubt, war der 1. Mai jedoch erstmals ein gesetzlicher Feiertag.
Nach der Befreiung durch die alliierten Streitkräfte stand die Forderung des 1. Mai als gesetzlicher Feiertag ebenfalls für die neue Regierung der nationalen Einheit (1945-1947) auf dem Programm. Auf Initiative des Arbeitsministers und früheren Verbandspräsidenten Pierre Krier war es 1946 soweit und durch den großherzoglichen Beschluss vom 23. April 1946 wurde der 1. Mai „für alle im Handel und in der Industrie beschäftigten Lohnempfänger“ zum Feiertag erklärt. Eine ähnliche Maßnahme war bereits am 8. Oktober 1945 für das Handwerk beschlossen worden.
In der Arbecht betont Lily Krier-Becker den weiten Weg den die 1. Maifeier bis dahin durchlaufen hatte:
„Oft hatte die Maifeier den Charakter einer Verschwörung, zu der sich die Teilnehmer heimlich zusammenfanden, um nicht die Aufmerksamkeit der Polizei zu erregen die mit Gummiknüppel und Handschellen operierte. Oft ist Blut geflossen… Wir sind heute weit entfernt von der Zeit wo nach dem 1. Mai Maßregelungen oder – im Ausland – Gefängnisstrafen erteilt wurden.“4
In der Tat erfolgte die Aufwertung des 1. Mai zum nationalen Feiertag nur 10 Jahre nach der Abschaffung des berüchtigten Paragraphen 310 des Strafgesetzbuches, der das Koalitions- und Streikrecht der Arbeiter erheblich einschränkte.
Allerdings wandelte sich mit der offiziellen Anerkennung des 1. Mai auch wesentlich dessen Charakter, aus dem „Kampftag der Arbeiterklasse“ wurde der „Feiertag der Arbeit“. So wurde denn auch bald in Gewerkschaftskreisen davor gewarnt, „aus dem internationalen Kampftag ein nationales Vereinsfest [zu] machen“ 5.
Die 1. Mai-Feiern der freien Gewerkschaften im Wandel der Zeiten
Nach dem 2. Weltkrieg wurden die 1. Mai-Kundgebungen von der CGT organisiert, wobei mehrmals das Konzept gewechselt wurde. Ein großer Einschnitt wurde 1955 vorgenommen, als erstmals eine zentrale 1.-Maifeier der CGT in Düdelingen veranstaltet wurde, die die zahlreichen lokalen Kundgebungen ersetzte. In der Folge fand diese zentrale Kundgebung jedes Jahr in einer anderen Ortschaft des Landes statt. Diese Umsetzung ging nicht ohne Widerstände vor sich; die Sektion Diekirch insbesondere wollte ihre Lokalfeier beibehalten 6. Tatsächlich wurden ab 1958, mit Begründung des weiten Anreiseweges in die Hauptstadt bzw. den Süden des Landes, in Diekirch und Wiltz wieder lokale 1.Mai-Feiern veranstaltet, dies trotz anfänglicher Opposition der Verbandsleitung 7. Ab 1974 wurden die Feiern in Diekirch und Wiltz durch eine Regionalfeier des Bezirks Norden ersetzt.
Diese Organisationsweise mit einer großen Zentralfeier sowie einer kleineren Regionalfeier im Norden wird im Wesentlichen bis 2005 beibehalten, nur gelegentlich wird von der üblichen Formel abgewichen (insbesondere wenn die Zentralfeier selber im Norden des Landes stattfand).
Eine große Ausnahme ist der 1. Mai 1965, der ausnahmsweise nicht unter dem Mantel der CGT, sondern unter dem der Action commune (AC) organisiert wurde.
Die AC war eine kurzlebige gemeinsame Plattform aus Sozialistischer Arbeiterpartei, freien Gewerkschaften und Escher Tageblatt. Dementsprechend sprachen vor 5.000 Teilnehmern bei der 1. Mai-Kundgebung der AC neben dem Generalsekretär der CGT Mathias Hinterscheid auch Tageblatt-Direktor Jacques F. Poos, der hauptstädtische Bürgermeister Paul Wilwertz und LSAP-Parteipräsident Henry Cravatte. Interessant ist, dass zu dieser Veranstaltung das bekannte Motiv der drei Pfeile (Logo der sog. „Eisernen Front“ aus SPD, freien Gewerkschaften und Reichsbanner) aus den 1930er-Jahre übernommen wurde. Allerdings zeigten die drei Pfeile nun nicht mehr nach unten, gegen Faschismus, Monarchismus und Sowjetkommunismus, sondern nach oben, in die Zukunft.
Aus mehreren Gründen (Desinteresse der LSAP, Übergehen des LAV-Generalsekretärs Antoine Weiss bei der Vergabe des Postens des Arbeitsministers, Integration des kommunistischen FLA in den LAV…) zerfiel die AC bereits nach wenigen Monaten, und 1966 fand die 1. Mai-Feier wieder im traditionellen Gewand der CGT-Gewerkschaften statt.
Als 1979 der OGBL gegründet wurde, sollte auch die 1. Mai-Feier vom neuen Gewerkschaftsbund organisiert werden. Als jedoch der Beitritt des Landesverbandes der Eisenbahner in den OGBL scheiterte und beschlossen wurde, die CGT beizubehalten, wurden die 1. Mai-Feiern bis 2005 weiterhin von der CGT organisiert.
Ab 2001 wurde der 1. Mai-Feier ein stärkerer europäischer Bezug gegeben. Gemeinsame Veranstaltungen der Gewerkschaften der Großregion, im Rahmen des Interregionalen Gewerkschaftsrats Saar-Lor-Lux-Trier/Westpfalz, fanden 2001 in Grevenmacher, 2002 in Thionville und 2003 in Düdelingen statt, wobei bei letzterer Kundgebung zum ersten und bisher einzigen Mal eine (kleine) LCGB-Delegation an der Gewerkschaftsfeier der freien Gewerkschaften teilnahm, die wohl mit den französischen Kollegen der CFDT oder CFTC angereist war, da der LCGB nichtsdestotrotz darauf bestand, seine eigene Konkurrenzveranstaltung zu organisieren.
2004 und 2005 wurden die 1. Mai-Feiern der CGT-Gewerkschaften wieder im üblichen Rahmen organisiert.
Angesichts der zunehmenden Abnahme der Teilnahme und des Interesses an der herkömmlichen Organisationsform des 1. Mai, beschloss der OGBL ab 2006 statt einer Kundgebung ein Fest der Arbeit und der Kulturen zu organisieren, das seitdem jedes Jahr, mit großem Erfolg, in der Abtei Neumünster im Grund stattfindet. Im Vorfeld der 1. Mai-Feier organisiert der OGBL seit 2006 jeweils in einer anderen Ortschaft ein großes politisches Meeting in Form einer erweiterten Sitzung seines Nationalvorstands, an dem alle Mitglieder teilnehmen können, anlässlich derer der Nationalpräsident die aktuellen Forderungen des OGBL zu den wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Fragen darlegt8. So auch dieses Jahr in der „Al Seeërei“ in Diekirch.
1 http://www.dgb.de/themen/++co++d199d80c-1291-11df-40df-00093d10fae2 2 Genau dreißig Jahre zuvor, am 1. Mai 1856, hatte ein Generalstreik in Australien stattgefunden 3 Ausgabe vom 8. Mai 1920 4 L.K.-B., „Maifeiern im Wandel der Zeiten“, Arbecht, Ausgabe vom 27. April 1946 5 Zitiert nach: 1916-1991. OGB-L Sektion Tetingen. Ein Dorf und seine Verbandssektion, 1991, S.282 6 Bericht des LAV-Hauptvorstandes vom 1.4.1955 7 Bericht des LAV-Hauptvorstandes vom 21.5.1958 8 Übrigens hatte John Castegnaro bereits — erfolglos — 1976 vorgeschlagen, am 1. Mai bloß kulturelle Aktivitäten vorzusehen und stattdessen am Vorabend in den Messehallen auf Kirchberg ein politisches Meeting zu organisieren; vgl. Bericht des LAV-Hauptvorstandes vom 12.7.1976
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