(Magazin)

Unbeachtete Realitäten im Architektur- und Bauingenieurbereich

Die Berufe Architekt und Ingenieur erwecken im kollektiven Bewusstsein Bewunderung. Die Planung unserer gebauten Umwelt ist elementar für die nachhaltige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Hinter die Fassade schauend, wird schnell klar: die Arbeitsbedingungen von BauingenieurInnen und ArchitektInnen sind alles andere als rosig.

Das Syndikat Dienstleistungen und Energie hat sich in den letzten Monaten über die schwierigen Bedingungen, die ArbeitnehmerInnen im Ingenieur- und Architektursektor antreffen, mit den verschiedenen AkteurInnen ausgetauscht. Niedrige Löhne, viele unbezahlte Überstunden, Stress und Druck, minimale Urlaubstage, bei denen es nicht einmal allen ermöglicht wird, sie wahr zu nehmen oder die nur zu vorgegebenen Momenten zu nehmen sind, stellen sich als weit verbreitet heraus.

Schlechte Bezahlung

Die Bezahlung im Sektor reflektiert in den Augen des OGBL in keiner Weise das mindestens 5-jährige Universitätsstudium, die große Verantwortung oder die Intensität des Arbeitsalltags. Viele ArbeitnehmerInnen steigen mit dem qualifizierten Mindestlohn ein und sehen diesen auch nach mehreren Jahren nicht groß gesteigert. Öfters kommt es auch vor, dass UniversitätsabgängerInnen zuerst ein unbezahltes oder unterbezahltes Praktikum angeboten wird, mit der Aussicht auf einen regulären Arbeitsplatz zu späterer Zeit. So kommt es zu Situationen, wo Personen erst nach einem Jahr zu einem unbefristeten Arbeitsvertrag kommen. Die Schwierigkeiten, die junge Menschen ohnehin schon auf dem derzeitigen Wohnungsmarkt haben, werden durch befristete Arbeitsverträge noch verschärft. Diese unsicheren Verhältnisse in denen sich BerufsanfängerInnen wiederfinden verurteilt das Syndikat Dienstleistungen und Energie aufs schärfste. Viele Angestellte bemängeln, dass es an Lohntransparenz fehlt, oft ist nicht klar wie oder wann man zu einer Gehaltserhöhung kommen kann. Es fehlt vielen an Karriereperspektiven, in die sie sich hineinprojizieren können.

Kultur der Überstunden

Dass phasenweise Überstunden anfallen, z.B. wenn eine Abgabe bevorsteht, liegt in der Natur des Berufes. Wo es jedoch zu einem Problem wird, ist wenn diese Überstunden sich normalisieren und es quasi keine Woche ohne Überstunden gibt. Oft werden diese Überstunden nicht einmal erfasst. In manchen Büros werden nur bei bestimmten Ausnahmefällen, wenn es abends mal überdurchschnittlich lange dauert hier und da eine Stunde aufgeschrieben. In anderen Büros werden Stunden nach 19 Uhr nicht mehr vom Zähler verbucht.  Dies führt zu einer chronischen Überarbeitung und hat gesundheitliche Folgen. Aus einer Studie vom europäischen Architects Council geht hervor, dass angestellte ArchitektInnen in Luxemburg im Schnitt 44,7 Stunden pro Woche arbeiten. Andere internationale Studien zeigen auf, dass um die 20 % der ArchitektInnen im Schnitt auf mehr als 49 Stunden-Wochen kommen. Darunter leidet natürlich die sogenannte „work-life balance“ und das bringt gesundheitliche Probleme wie Burnout und Depressionen mit sich.

In den meisten Büros gibt es lediglich die gesetzliche Mindestanzahl an freien Tagen. Doch auch die sind in der Praxis öfters nur auf dem Papier vorgesehen. Viele Angestellte erzählen davon wie sie ein schlechtes Gewissen vermittelt bekommen, wenn sie ihre Urlaubstage anfragen, weil es ungern gesehen wird, auf alle freien Tage zu bestehen und Anfragen lange unbeantwortet bleiben. Andere berichten, dass ihnen die Freistellung ungesetzmäßig und mit viel zu kurzer Vorlaufzeit zu bestimmten Tagen festgelegt werden.
Die meisten ArchitektInnen und IngenieurInnen legen große Begeisterung für ihre Arbeit an den Tag, jedoch macht sich durch Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung unter dem Strich eine gewisse Verzweiflung breit. Die mangelnden Perspektiven bringen viele Beschäftigte dazu sich selbst und ihre Arbeit als ungeschätzt oder gar abgewertet zu betrachten.

In den Dialog treten

Das Syndikat Dienstleistungen und Energie hat in den vergangenen Monaten Unterredungen mit unterschiedlichen AkteurInnen des Sektors angefragt. Die erste Besprechung fand im November mit dem OAI (Ordre des Architectes et Ingénieurs-conseils) statt. Aus ihrer Sicht bedauern sie die hohe Zahl an Krankmeldungen und die „Flucht“ vieler Arbeitnehmerinnen in den öffentlichen Sektor. Für den OGBL zeigen diese beiden Phänomene jedoch eindeutig auf schlechte Arbeitsbedingungen und Unterbezahlung hin. Die Architekten- und Bauingenieurskammer erklärt die niedrigen Löhne im Sektor mit niedrigen Jahresumsätzen von Architektur- und Bauingenieurbetrieben. Das Syndikat Dienstleistungen und Energie kann sich hinter die Forderung des OAI stellen, dass die Umverteilung auf mehreren Ebenen stattfinden muss und nicht nur innerhalb der Betriebe selbst. Dass es nicht die Architektur- und Ingenieurfirmen sind, die an den exorbitanten Preisen am Wohnungsmarkt verdienen, wird durch diese Analyse klar. Es wird schnell sichtbar, dass die Wohnungsmarktkrise auch Auswirkungen auf den Sektor und die darin Beschäftigten hat. Die Personen, die die intellektuelle Arbeit zur Konzipierung unserer gebauten Umwelt aufbringen, sind nicht dementsprechend an den Gewinnen beteiligt  und die Betroffenen sind sogar oft nicht in der Lage, die finanziellen Kosten einer Eigentumswohnung zu tragen.

Weitere Besprechungen fanden mit Vertretern der Universität Luxemburg (Bachelorstudiengang Bauingenieur und Masterstudiengang Architektur) statt. Es wurde klar, dass es trotz vielen Gemeinsamkeiten auch einige Unterschiede zwischen beiden Studien gibt. Beide Vertreter wünschen sich mehr Studierende aus Luxemburg im Studium und sehen eine Aufwertung des Berufs als verfolgenswert. Wenn über die Arbeitsbedingungen der heutigen ArbeitnehmerInnen diskutiert wird, dürfen die zukünftigen ArbeitnehmerInnen nicht vergessen werden. Denn schon im Studium werden lange Stunden auf den Projekten verbracht und die Studierenden schon daran gewöhnt, diese Kultur der normalisierten Überstunden zu verinnerlichen.

Eine Unterredung mit der Studierendenvertretung ANEIL, die sowohl Ingenieur- wie auch Architekturstudierende vertritt, war ein guter erster Begegnungspunkt. Die ANEIL zeigte sich interessiert daran in der Zukunft auch GewerkschaftsvertreterInnen auf ihre jährlich stattfindende Diskussionsrunde einzuladen und den Studierenden diesen Aspekt der Arbeitswelt näher zu bringen.

Erste Organisierungsschritte

Es ist zu bemerken, dass im Sektor viele Personen ihre Rechte nicht ausreichend kennen oder Schwierigkeiten haben, diese geltend zu machen. Es herrschen Unsicherheit und Unzufriedenheit unter den Beschäftigten. In der Vergangenheit gab es wenig Organisierungsversuche im Sektor. Durch After-Work-Treffen, organisiert vom Syndikat Dienstleistungen und Energie, konnten sich einige ArbeitnehmerInnen in den letzten Monaten zusammen finden um die Problematiken in ihrem Beruf zu diskutieren und Lösungsansätze so wie Forderungen zu formulieren. Diese Treffen haben den TeilnehmerInnen aufgezeigt, dass die von ihnen genannten Probleme nicht nur sie persönlich treffen. Die Individualisierung ist eine große Hürde, die die Gewerkschaftsbewegung auch unter ArchitektInnen und IngenieurInnen antrifft und überwinden muss. Das OGBL-Syndikat Dienstleistungen und Energie erfreut sich über alle neuen Mitglieder.