Das am 15. Juli veröffentlichte „Fit-for-55“-Paket, das das erhöhte Klimaziel für 2030 in konkrete Maßnahmen umsetzt, bedeutet eine dramatische Beschleunigung der Dekarbonisierung der EU. Die Industrie und ihre Beschäftigten gehören zu denjenigen, die am stärksten von diesen Maßnahmen betroffen sind. IndustriAll Europe ist enttäuscht, dass das „Fit for 55“-Paket trotz einiger interessanter Initiativen keine neuen Maßnahmen oder signifikante Ressourcen enthält, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmer*innen ein gerechter Übergang garantiert wird, während die Dekarbonisierung der EU beschleunigt wird.
Die jüngsten extremen Wetterereignisse erinnern uns daran, dass die Wissenschaft recht hat: Der Klimawandel ist bereits Realität und die Zukunft unserer Industrien muss klimaneutral sein. Doch wo ist der rechtliche Rahmen für die Antizipation des Wandels? Wo ist das „Just Transition”- Programm für alle Arbeitnehmer*innen, die unter den Grünen Deal fallen (mit Ressourcen, aktiver Arbeitsmarktpolitik und sozialem Dialog)?
Luc Triangle, Generalsekretär von industriAll Europe, sagte bei der Veröffentlichung des Pakets:
„Das ‚Fit-for-55‘-Paket ist ein Meilenstein in der europäischen Klimapolitik, das für Klimaneutralität bis 2050 sorgt. Hunderttausende von Arbeitsplätzen werden sich dadurch verändern. Wo ist also die soziale Dimension in diesem Paket, um sicherzustellen, dass wir die kommenden Veränderungen antizipieren und Entlassungen und sozialen Schaden vermeiden?
Die Arbeitnehmer*innen in unseren energieintensiven Industrien, in der Automobilindustrie und in der rohstofffördernden Industrie sind besorgt darüber, was dies alles für ihre Zukunft bedeuten wird. IndustriAll Europe wird weiterhin eine starke Sozial- und Beschäftigungsagenda in der Klimapolitik fordern, die die Schaffung und den Erhalt von guten Arbeitsplätzen und ausgehandelte Maßnahmen zur Abfederung negativer Auswirkungen fördert. ‚Ein grüner Deal kann nur erfolgreich sein, wenn er auch ein sozialer Deal ist‘, wurde im letzten Jahr mehrfach gesagt. Wir fordern, dass dies kein leeres Versprechen bleibt.”
Die Industriebeschäftigten fordern zumindestens, dass die Dekarbonisierung nicht durch Deindustrialisierung erreicht wird. Stattdessen muss das heute vorgelegte Paket zur Transformation der Industrien führen und nicht zu Unterbrechungen und brutalen Umstrukturierungen. Die politischen Entscheidungsträger*innen müssen auch sicherstellen, dass wir Tempo nicht mit Überstürzung verwechseln und dass die überarbeiteten Klimagesetze die Zeit berücksichtigen, die für die Transformation unserer Industrien in allen Regionen benötigt wird. Das Paket muss ein Umfeld schaffen, das die Dekarbonisierung ermöglicht, einschließlich dekarbonisiertem Strom, Infrastrukturen, Leitmärkten, Investitionen und qualifizierten Arbeitskräften. Es muss zu starken Wertschöpfungsketten in den Bereichen erneuerbare und dekarbonisierte Energieerzeugung und -anlagen, emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge, Batterien, sauberer Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Biomasse, Dämmstoffe, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung/-nutzung führen. Dies erfordert eine durchsetzungsfähige europäische Industriestrategie neben den Klima- und Energiezielen.
Die Klimaziele und die sozialen Ziele müssen Hand in Hand gehen. IndustriAll Europe begrüßt die verstärkten Klimaambitionen, kritisiert aber, dass das heutig vorgelegte Paket dies teilweise in regressive Politikinstrumente umsetzt – die Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems (EHS) -, die möglicherweise durch begrenzte soziale Maßnahmen wie die Sozialfazilität und den damit verbundenen Mechanismus kompensiert werden. Ebenso sehen wir eine Beschleunigung der Dekarbonisierung ohne zusätzliche Ressourcen für Regionen, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, und keinen spezifischen Vorschlag zur Stärkung der Arbeitnehmerbeteiligung oder zur Antizipation des Wandels durch einen Rechtsrahmen.
Judith Kirton-Darling, stellvertretende Generalsekretärin von industriAll Europe:
„Das ‚Fit-for-55‘-Paket wird die Transformation unserer Industrien beschleunigen, aber es wird keinen gerechten Übergang geben, wenn Dekarbonisierung Deindustrialisierung bedeutet. Die Bepreisung von Kohlenstoff spielt eine Rolle, ebenso wie der Kohlenstoffgrenzausgleichsmechanismus, aber dies sind keine Allheilmittel zur Dekarbonisierung der EU-Industrie. Das EU-EHS ist keine effektive Industriepolitik. Eine Reform des EHS muss in eine umfassendere Industriestrategie eingebettet sein, die sektorale und regionale Besonderheiten berücksichtigt und die wichtigsten Instrumente bereitstellt, die benötigt werden, um transformative Maßnahmen auszulösen.
Dies ist der größte industrielle Wandel in der modernen Geschichte mit Auswirkungen auf die Beschäftigten in unserer gesamten Wirtschaft – wir brauchen einen rechtlichen Rahmen zur Antizipation des Wandels mit angemessenen Ressourcen, der sicherstellt, dass dies ein verhandelter Übergang ist – ein ausgewogener Übergang – ein gerechter Übergang. Die Arbeitnehmer*innen müssen als Akteure des Wandels und nicht als passive Empfänger der Politik gesehen werden, wenn wir die soziale Akzeptanz schaffen wollen, die notwendig ist, um in drei Jahrzehnten Klimaneutralität zu erreichen.”
Seit heute liegt dieses wichtige Gesetzespaket nicht mehr in den Händen der Europäischen Kommission – es liegt nun in der Verantwortung der nationalen Regierungen und der Mitglieder des Europäischen Parlaments, dafür zu sorgen, dass das Gleichgewicht wiederhergestellt wird und dass die legitimen Anliegen der Arbeitnehmer*innen in Bezug auf einen gerechten Übergang sich direkt in dem gesetzlichen Rahmen widerspiegeln und an den Arbeitsplätzen in ganz Europa umgesetzt werden.
IndustriAll European Trade Union wird mit ihren Mitglieder zusammenarbeiten, um das Paket genauer zu analysieren und einen konstruktiven Beitrag zum politischen Prozess zu leisten. Unser Kompass ist die Notwendigkeit, einen gerechten Übergang für die Industriebeschäöftigten zu sichern und gleichzeitig eine klimaneutrale EU bis 2050 aufzubauen.
Anmerkung
IndustriAll European Trade Union vertritt die Stimme von 7 Millionen arbeitenden Männern und Frauen entlang der Lieferketten in der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und im Energiesektor in ganz Europa. Unser Ziel ist es, die Rechte der Beschäftigten zu schützen und zu fördern. Unsere Föderation hat 181 Gewerkschaftsmitglieder in 38 europäischen Ländern. Unser Ziel ist es, ein starker Akteur auf der europäischen politischen Bühne zu sein, gegenüber europäischen Unternehmen, europäischen Industrien, Arbeitgeberverbänden und europäischen Institutionen.
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