Nein? Sollten Sie aber. Die „kalte Progression“ ist nämlich Gift für Ihr Portemonnaie.
Auch als „schleichende“ oder „heimliche“ Steuererhöhung bezeichnet, nagt die „kalte Progression“ an Ihrer Kaufkraft. Und das tut sie, weil seit der Steuerreform im Jahr 2017 die Steuertabelle gesetzlich nicht an die Inflation angepasst wurde.
Ende 2022 wird dadurch Ihr jährlicher Verlust beim Nettoeinkommen vierstellig sein.
Die kalte Progression ist eine reale steuerliche Mehrbelastung.
Sie entsteht dann, wenn im zeitlichen Verlauf (in unserem Fall zwischen 2017 bis 2022) die Eckwerte des progressiven Steuertarifes (unsere progressive Steuertabelle) nicht an die Steigerungsrate der Preise (der „Index“) angepasst werden.
Bei den sogenannten Eckwerten handelt es sich um den Eingangssteuersatz, um die Grenzsteuersätze und um den Spitzensteuersatz. Sie spielen im Zusammenhang mit dem Phänomen der „kalten Progression“ eine ausschlaggebende Rolle.
Wenn der Indexmechanismus Lohn oder Rente an die Inflation anpasst, gleichzeitig aber die Steuertarife unangetastet bleiben, dann erhöht sich mechanisch die prozentuale Steuerbelastung.
Es kommt zu einem Ansteigen des durchschnittlichen Steuersatzes, zu realen Steuererhöhungen und entsprechend zu realen Einkommensverlusten sprich Rückgang der Kaufkraft.
Und die Hauptopfer der „kalten Progression“ sind die unteren und mittleren Einkommen, denen die „kalte Progression“ eine relativ, d.h. prozentual höhere steuerliche Belastung beschert.
Die soziale Gerechtigkeit und die Steuergerechtigkeit bewegen sich durch die „kalte Progression“ … in die Rückwärtsrichtung.
Es gibt also zwei Arten des Indexklaus.
Einer beim Bruttolohn bzw. -rente. Und einer beim Netto des Lohns bzw. der Rente! Der Indexklau, den das luxemburgische Parlament am 29. Juni 2022 auf Vorschlag der Regierung, des Patronats und der Gewerkschaften LCGB und CGFP gesetzlich beschlossen hat, trifft den Brutto von Lohn oder Rente.
Im konkreten Fall gibt es zwischen Juli 2022 bis zum März 2023 einen monatlichen Bruttoverlust von 2,5% bei den Löhnen und den Renten.
Man kann diese Manipulation des Index als Bruttoklau bezeichnen.
Durch den Einsatz des OGBL wird dieser Bruttoklau mit dem Auszahlen der verzögerten Indextranche vom Juli 2022 im April 2023 beendet. Nicht beendet hingegen wurde bisher jedoch der zweite Klau, nämlich der Nettoklau beim Erfallen jeder neuen Indextranche.
Nach Abzug der Sozialbeiträge und der Steuern wird sich der Netto von Lohn oder Rente nicht, wie es eigentlich sollte, ebenfalls um 2,5% erhöhen.
Es wird weniger sein.
Im Klartext: Bei jeder Indextranche senkt sich (im Verhältnis zum Brutto) prozentual der Nettoteil der Indextranche.
Dieser Nettoindexklau ist, wie oben schon gesagt, nicht neu. Er findet seit dem Jahr 2017 statt.
Und mit jeder Indextranche – am Ende des Jahres werden es deren 7 seit 2017 sein – kumuliert sich dieser prozentuale Verlust beim Netto. Zur Erinnerung: die „kalte Progression“ 2017-2022 kostet Sie jährlich netto über 1000 € und mehr.
Die Ursache für diesen zunehmenden Nettoindexklau: bei jeder Indextranche kommt es wie schon gesagt zur realen Steuererhöhung, weil die Steuertabelle nicht an die Inflation abgepasst wird.
Und was hat die aktuelle Regierung damit zu tun?
Ganz einfach. Sie hat es seit 2017 unterlassen eine Gesetzesinitiative in die Wege zu leiten, um die Steuertabelle an die Inflation anzupassen.
Dabei hatten die national repräsentativen Gewerkschaften OGBL und CGFP im Rahmen der Diskussion über die Steuerreform die Einführung eines gesetzlichen Mechanismus der automatischen Anpassung der Steuertabelle an die Inflation eingefordert.
Die Regierung sagte Nein und setzte sich durch. Mit dem Resultat, dass Anfang 2023 die Steuertabelle um 18,9% zu tief liegen wird und dieser Prozentsatz sich 2023 mit einiger Wahrscheinlichkeit auf über 20% erhöhen wird.
Es wird angenommen, dass dieser Nettoindexklau, der nichts anderes als ein realer Kaufkraftverlust ist, sich mittlerweile insgesamt auf 600 Millionen € pro Jahr (!) beläuft.
600 Millionen € reale Steuererhöhung! Pro Jahr!
Die „kalte Progression“ füllt die Staatskasse auf Kosten der Kaufkraft der Steuerzahler. Ein krasser Widerspruch zu der offiziellen Aussage des Premierministers Bettel anlässlich seiner Rede zur Lage der Nation am 12.10.2021: „Mit dieser Regierung wird es keine Sparpolitik und keine Steuererhöhungen geben“.
Und es steht ebenfalls im krassen Widerspruch zu der von der Regierung vorgenommenen zweifachen Senkung (!) der Besteuerung der Betriebe.
Und laut jüngsten Aussagen von Seiten der Regierung, der Finanzministerin und einigen Abgeordneten soll dieser Nettoindexklau munter weitergehen.
Dem gegenüber steht die obengenannte Forderung des OGBL, die die Gewerkschaft alljährlich vor und nach der Steuerreform 2017 wiederholt und die aufgrund der Inflationsbeschleunigung seit Ende 2021 weiter an Brisanz und Dringlichkeit zugewonnen hat. Der OGBL hat diese Forderung bei der jüngsten Tripartite erneut verteidigt und eine Anpassung eingefordert. Im Gegensatz zu den anderen gesetzlichen Hauptforderungen zeigte sich die Regierung bei diesem Punkt nicht gesprächsbereit. Der OGBL wird auf jeden Fall auch weiterhin in dieser Frage nicht locker lassen.
Warum gibt es eigentlich keine periodische Anpassung der Steuertabelle an die Inflation?
Die Beantwortung dieser Frage beginnt zunächst einmal mit der Feststellung, dass es sie gab!
Und zwar bis zum Jahr 1996. Damals lautete die gesetzliche Formel: Wenn sich der Preisindex seit dem Inkrafttreten des letzten Steuertarifs um mindestens 5% entwickelt hat, dann schlägt die Regierung vor, „d’inclure dans le projet de loi budgétaire pour l’exercice suivant un projet de tarif de l’impôt sur le revenu des personnes physiques révisé en raison de la variation de l’indice pondéré des prix à la consommation (…)“.
Unter Finanzminister Juncker wurde 1996 diese gesetzliche Formel ihres Sinns entleert. Fortan galt, dass nur dann eine Anpassung der Steuertabelle anstehen würde, wenn innerhalb des Zeitraums eines Jahres der Preisindex sich um mindestens 3,5% entwickeln würde.
Als sich diese Situation im Jahre 2011 konkret einstellte, passierte zunächst nichts bis auf Initiative des Austeritätsfinanzministers Frieden die Abgeordnetenkammer kurzerhand und ersatzlos die Abschaffung dieses Artikels der Steuergesetzgebung beschloss.
Das wars.
Mit dem Resultat, dass zwischen der Steuerreform 2009 und der Steuerreform 2017, wie es jetzt erneut der Fall ist, die „kalte Progression“ wütete.
Die Steuererleichterungen der Reform von 2017 waren deshalb im Wesentlichen nichts anderes, als das momentane Rückführen der „kalten Progression“, sprich des weiteren Wirkens der realen Steuererhöhungen, die zwischen 2009 und 2017 stattfanden.
Und seit dem Jahr 2017 setzte das Spiel der realen Steuererhöhungen, des Nettoindexklaus aufgrund der Nichtanpassung der Steuertabelle direkt wieder ein
Es stellt sich also jetzt die dringende Frage, ob die Regierung willig ist, die Steuertabelle an die Inflation anzupassen, nachdem sie beschlossen hat, die im Koalitionsprogramm von 2018 vorgesehene Steuerreform nicht zu machen, oder ob sie diesen Nettoindexklau bis … zur nächsten Steuerreform im Jahr 2024 oder 2025, oder… fortzusetzen gedenkt!
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