Versammlung des erweiterten Nationalvorstands im Vorfeld vom 1. Mai

„In einem der reichsten Länder der Welt …“


Rede vom 28. April 2016, gehalten in Differdingen von André Roeltgen, OGBL-Nationalpräsident, bei Gelegenheit des traditionsreichen Erweiterten OGBL-Nationalvorstands, vor dem 1. Mai.


Ansprachen von Marie-Jeanne Leblond-Reuter, Vorsitzende der OGBL-Regionalen Differdingen und von Roberto Traversini, Bürgermeister von Differdingen am 28. April 2016 in Differdingen.


Der OGBL hat in diesem Jahr seinen bereits traditionellen erweiterten Nationalvorstand am 28. April in der Mehrzweckhalle „La Chiers“ in Differdingen abgehalten. In einem überfüllten Saal hat Marie-Jeanne Leblond-Reuter, Präsidentin der Regionalen Differdingen und ebenso OGBL-Vize-Präsidentin, sämtliche Militanten, die sich zu dieser Gelegenheit dort eingefunden hatten, willkommen geheißen, bevor sie dann das Wort an den Bürgermeister von Differdingen, Roberto Traversini, übergab, der dann auch ein paar Worte an die dort Versammelten richtete.
Anschließend hat dann André Roeltgen, OGBL-Präsident, Stellung genommen zu den großen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Aktualitätsthemen. Angefangen mit der beunruhigenden Zunahme, quer durch Europa, der fremden- und ausländerfeindlichen rechtsextremen Bewegungen und Parteien. Eine Entwicklung, die nicht auf Zufall beruht. Ganz im Gegenteil, diese Bewegungen und Parteien – die die Gegner der gewerkschaftlichen Bewegung sind – bauen auf soziale Ängste auf. Soziale Ängste, die das Ergebnis von in den vergangenen Jahren falsch geführter und von Austerität geprägter europäischer Politik sind, und gegen die sich der OGBL pausenlos gewehrt hat, indem er die politische Klasse davor gewarnt hat.
Der OGBL-Präsident hat seinen Appell wiederholt, mit dieser zerstörerischen Politik aufzuhören und die soziale Dimension in Europa wieder zur Priorität Nummer 1 zu machen. Die Staaten müssen wieder zu Haushaltsspielräumen kommen. Die Kaufkraft der Bürger muss wieder zunehmen. Die gewerkschaftliche Bewegung hat ernsthafte und konkrete Vorschläge gemacht, um Europa wieder aus der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Krise, in der es steckt, herauszuführen. Doch diese Vorschläge wurden bis jetzt weitestgehend ignoriert.
Schlimmer noch, die EU scheint es vorzuhaben, ihre zerstörerische Politik weiterzuführen. Die beiden Freihandelsabkommen, mit den USA (TTIP) und mit Kanada (CETA), die zurzeit ausgehandelt werden, sind stellvertretend dafür. Die Schiedsmechanismen, um die Unstimmigkeiten zwischen Investoren und Staaten beizulegen würden schlichtweg die Rechtsstaatlichkeit und die demokratischen Prinzipien in Frage stellen, indem sie den multinationalen Konzernen die Macht verleihen würden, die nationalen Gesetzgebungen, auf Kosten des Gemeingutes, auszuschalten (ob es sich nun um die soziale Dimension, um öffentliche Dienste, um Umwelt- oder Verbraucherschutz handelt). Die beiden Abkommen versprechen uns eine Diktatur der Wirtschaft und des Kapitals über unsere Gesellschaften. Der OGBL ist kategorisch gegen TTIP und CETA, und ruft die Regierung, sowie sämtliche politischen Parteien Luxemburgs dazu auf, sich von diesen beiden Freihandelsabkommen zu distanzieren.
Der OGBL-Präsident hält es ebenfalls für unakzeptabel, dass die Europäische Kommission es immer wieder versucht, sich auf salariatsfeindliche Art und Weise, in das nationale Verhandlungs- und Lohnbildungssystem einzumischen. Während er den Entschluss der luxemburgischen Regierung begrüßte, das Indexierungssystem der Löhne und der Renten wiederherzustellen, rief André Roeltgen die Regierung auch hier dazu auf, noch weiter zu gehen, indem sie sich klar gegen das Vorhaben der Europäischen Kommission stellt, das Luxemburger Modell zu entstellen (Index, sozialer Mindestlohn, Kollektivvertrag). Ein Modell, das weitestgehend zum sozialen Frieden in den vergangenen Jahrzehnten beigetragen hat.
In diesem Zusammenhang unterstrich der OGBL-Präsident auch, dass seit 2014, Luxemburg sich wieder in einem starken wirtschaftlichen Wachstum, in einer Höhe von 4%, befindet, und dass es nun an der Zeit ist, dass dieses Wachstum sich auch auf die Löhne in sämtlichen Sektoren niederschlägt.
Der soziale Mindestlohn ermöglicht es nicht mehr in Luxemburg dezent zu leben. Der OGBL forderte im vergangenen Jahr eine strukturelle Erhöhung von 10% des
sozialen Mindestlohns und bleibt bei dieser Forderung. Wer auch immer 40 Stunden pro Woche arbeitet, muss in Luxemburg dezent leben können. Bei dieser Forderung handelt es sich für den OGBL auch um eine Anerkennung der Frauenarbeit, die zahlreich in den Sektoren arbeiten, die dem sozialen Mindestlohn am ehesten ausgesetzt sind (Handel, Hotelgewerbe, Gastronomie, Vergabe von Dienstleistungsaufträgen). Der Kampf geht auch im Reiningungssektor weiter, wo der OGBL die Auszahlung des qualifizierten sozialen Mindestlohns, nach zehn Jahren Berufserfahrung, einfordert.
Der OGBL-Präsident unterstrich ebenfalls, dass in einem der reichsten Länder der Welt, alle von einer sozialen Absicherung und von einem bestmöglichen Gesundheitssystem profitieren können müssen, und das ganz unabhängig von ihren Löhnen. Diese Bereiche sind seit einigen Jahren zur bevorzugten Zielscheibe der Angriffe seitens der Europäischen Kommission, der Arbeitgeber und der Politik geworden. Der OGBL erinnert daran, dass die Ausgaben in punkto Sozialversicherung und Gesundheit in Luxemburg noch total vernünftig sind. Sie sind sogar geringer als sie es sein müssten. Der OGBL begrüßt in diesem Zusammenhang die vor kurzem angekündigte Erweiterung des Leistungskatalogs im Gesundheitsbereich. Die Rentenreform im Jahr 2013 war überflüssig und die Sparmaßnahmen, mit denen 2014 begonnen wurde („Zukunftspak“ der Regierung), und die die Kranken- und Pflegeversicherung im Visier haben, waren ein Fehler.
Was den Konflikt betrifft, der zurzeit zwischen dem Personal der Sektoren Gesundheit, Pflege und Sozialwesen und der Arbeitgeberschaft herrscht, so findet der OGBL-Präsident es unannehmbar, dass die Arbeitnehmer ein weiteres Mal auf die Straße gehen müssen, um ihre beiden großen Kollektivverträge (FHL und SAS) zu verteidigen, die wieder von der Arbeitgeberschaft in Frage gestellt werden, obwohl die Regierung sich dazu verpflichtet hat, dafür zu sorgen, dass sie respektiert werden. (Abkommen vom 28. November 2014).
Der OGBL vertritt ebenfalls die Meinung, dass der größte Gegner einer sozial fortschrittlichen Politik, eine Politik ist, die es den Unternehmen erlaubt, sich immer weiter aus ihrer sozialen Verantwortung zu stehlen. Der sogenannte Vorschlag der UEL, sich teilweise aus der Finanzierung der Krankenversicherung zu verabschieden, ist in diesem Zusammenhang eine wahre Provokation. Der OGBL warnt die UEL ebenfalls vor jeglicher Initiative die es zum Ziel hätte, das Rentensystem noch weiter zu zerschlagen. Es gibt zurzeit nicht die geringste Ursache, solche Gespräche einzuleiten.
Auch wenn der OGBL den Rückgang der Arbeitslosigkeit begrüßt, so stellt er jedoch fest, dass dieser Rückgang nur sehr gering ist, und dass er sich vorwiegend durch die Rückkehr des Wachstums erklären lässt. Wo sind hier die großen Versprechen seitens der UEL, die auch versprochen hat zu helfen, gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen? Die Arbeitslosigkeit ist noch zweimal so hoch wie vor der Krise von 2008. Der OGBL fordert seinerseits einen besseren Arbeitsplatzschutz, einen Qualitätsunterricht sowie eine Reform der beruflichen Weiterbildung. Und was den Gesetzesvorschlag zum Altersmanagement betrifft, so geht der nicht weit genug. Der OGBL erinnert ebenfalls daran, dass die Regierung sich am 28. November 2014 dazu verpflichtet hat, ein Recht auf Teilzeitrente in Verbindung mit Teilzeitarbeit einzuführen.
Die Kampagne „Ein Sozialpaket für Luxemburg – Für bessere Arbeit und ein besseres Einkommen“, läuft weiter. Ihre provisorische Bilanz ist positiv: Indexierung der Studienstipendien, Einführung einer periodischen Anpassung der Familienzulagen, Wiederaufwertung des Elternurlaubs. Was die von der Regierung durchgeführte Steuerreform betrifft, so hätte diese noch weiter gehen können. Sie entspricht aber der Hauptforderung, die vom OGBL aufgebracht wurde, und zwar einer erheblichen Erleichterung der Steuerlast für die kleinen und mittleren Einkommen. Der OGBL kritisiert jedoch die Tatsache, dass die Regierung keinen Anpassungsmechanismus der Steuertabelle vorgesehen hat, und dass der Steuerbeitrag der Unternehmen weiterhin fällt, und das ohne berechtigten Grund. Was die Arbeitszeitorganisation betrifft, so ist der Regierungsvorschlag für den OGBL ein annehmbarer Kompromiss, der die jetzige Gesetzgebung verbessert.
Der OGBL-Präsident hat ebenfalls die zukünftigen Herausforderungen für die gewerkschaftliche Bewegung angesprochen. Die Produktionsweise steht vor großen Umwälzungen und es besteht die Gefahr, dass diese der Arbeitswelt tiefgründige Umbrüche bescheren werden. Die Gewerkschaften müssen sich darauf vorbereiten.
Während der OGBL in diesem Jahr das 100. Jubiläum der freien Gewerkschaftsbewegung in Luxemburg feiert, so hat André Roeltgen unterstrichen, dass dieses Jubiläum nicht nur zu einem Rückblick veranlassen soll, sondern auch zu einem Ausblick. Die Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter, und so wie die Gewerkschaftsbewegung es immer wieder fertiggebracht hat, sich den neuen Vorgaben der Zeit anzupassen, so muss auch der OGBL sich den neuen Realitäten anpassen, mit denen er konfrontiert ist. Und es ist kein Zufall, wenn der OGBL am kommenden 2. Juli einen außerordentlichen Kongress abhält, der unter anderem dazu geplant ist, seine Stauten zu reformieren, damit der OGBL, historischer Träger des sozialen Fortschritts, auch die Gewerkschaft der Zukunft sein wird.