Im Vorfeld der Tripartite

Jean-Claude Reding
OGBL-Präsident

Weltweit haben Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Millionen
Menschen haben ihre Renten verloren. Schuld daran sind unter andern
unverantwortliche Finanzkapitalisten, unverantwortliche Finanzmanager und
Börsenhändler, die sich hemmungslos bereicherten, völlig überzogene
Spekulationsrisiken eingingen. Milliarden Steuergelder waren nötig, um den
angerichteten Schaden zu beheben und schon greifen dieselben wieder in die
Kasse und schütten sich wieder Bonusse in Millionenhöhe aus.
So genannte Ratingagenturen, die auf der ganzen Linie versagt haben, maßen
sich an wieder Staaten zu bewerten, zu benoten.
In Pressegesprächen erteilen Börsenhändler wie gehabt Ratschläge wie am
besten spekuliert werden kann.
Das Verhalten von Großkonzernen wie ABInbev (der Eigner der Brauerei
Diekirch) zeigt ebenfalls, dass es weiter geht wie vor der Krise. Nicht die Arbeit,
sondern der Profit steht im Mittelpunkt.
Wenn die Politik nicht endlich handelt, den Worten Taten folgen lässt und endlich
dafür sorgt, dass das Gebaren der Finanzwelt kontrolliert wird, dass die
Marktwirtschaft reguliert wird, dass soziale und ökologische Werte und Ziele
Vorrang vor rein wirtschaftlichen und finanziellen haben, dann hat sie versagt
und die nächste Krise steht vor der Tür. Dann stehen auch in vielen Ländern
immer härtere soziale Auseinandersetzungen an.
Am 11. Februar findet auf Wunsch des neuen Präsidenten der EU ein
Sondergipfel der EU-Regierungschefs statt. Wichtig wäre es wenn die EURegierungschefs
auf diesem Gipfel endlich Maßnahmen gegen das unverfrorene
Verhalten der Hasardeure aus den Chefetagen der Industrie und der Finanzwelt
beschließen würden, wenn sie sich darauf einigen würden, was zu tun ist, damit
wir unser Geld wieder zurückbekommen, was sie tun wollen, damit das
Verursacherprinzip nicht nur beim Umweltschutz sondern auch in der Wirtschaft
angewandt wird, d.h. dass diejenigen zahlen, die den Schaden angerichtet
haben.

Richtig wäre es, die Beschäftigungskrise und ihre Bekämpfung in den Mittelpunkt
dieses Gipfels zu stellen.
Dem scheint aber nicht so zu sein.
Im Gegenteil, es soll hauptsächlich darüber beraten werden, wie die
Mitgliedstaaten möglichst schnell ihre Haushalte wieder ins Gleichgewicht
bringen, wie sie Defizite durch drastische Sparmaßnahmen zurückschrauben
können, wie durch Strukturreformen in der Sozialpolitik, sprich durch
Leistungsabbau für die große Mehrheit der Lohnabhängigen, durch
Strukturreformen in der Arbeitswelt, sprich durch weitere Flexibilisierung und
Verwässerung der arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen, die
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Betriebe – von welchen Betrieben
sprechen wir da eigentlich? – gestärkt werden. Auf wessen Kosten und zu
wessen Nutzen soll das wohl gehen? Stabilitätspakt und Lissabonstrategie
werden trotz ihres Misserfolges nicht, oder nur zaghaft in Frage gestellt.
Wenn die EU-Regierungschefs diese Richtung einschlagen und vorrangig über
einen möglichst schnellen Schulden und Defizitabbau beraten, wenn die
Beschäftigungspolitik, die Stärkung der Rolle der öffentlichen Hand in der
Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Entwicklung einer europäischen
Industriepolitik auch weiterhin als zweitrangiges Thema behandelt werden, dann
riskieren wir, dass der bisher verfolgten Antikrisenpolitik, die immerhin einen
wirtschaftlichen und finanziellen Kollaps verhindert hat, der Garaus gemacht
wird. Die europäischen Gewerkschaften warnen vor einem überstürzten Ausstieg
aus der Antikrisenpolitik, vor einer Politik, die nunmehr auf Austerität setzt und
damit droht den zaghaften Wirtschaftsaufschwung im Keim zu ersticken.
Bei den in Luxemburg anstehenden Dreiergesprächen (Tripartite) und den
nachfolgenden politischen Entscheidungen geht es grundsätzlich um die gleichen
Fragen.
Wir haben letztes Jahr eine Antikrisenpolitik vereinbart, die auf vier Pfeilern
aufbaute:

  • eine gute soziale Absicherung der aktiven und pensionierten Arbeitnehmer;
  • einen aktiven Staat, der sich in die Wirtschaft einmischt;
  • ein hohes öffentliches Investitionsniveau;
  • eine Absicherung der Kaufkraft der sozial schwächeren durch steuerliche und sozialpolitische Maßnahmen.

Der OGBL ist der Meinung, dass diese Politik richtig war und richtig bleibt. Wenn
es darüber Einvernehmen gibt, dann bedeutet dies, dass Sozialabbau und
Lohnabbau kein Thema sein werden.
Es ist in diesem Punkt erfreulich festzustellen, dass eine der beiden
Regierungsparteien, die LSAP, in diesem Zusammenhang betont, dass
Indexmanipulationen für sie nicht in Frage kommen. Das ist ein erster Erfolg
unserer gewerkschaftlichen Mobilisierung.
Für den OGBL bedeutet dies auch, dass der Staat sich die finanziellen Mittel
erhält, um wichtige Zukunftsinvestitionen durchzuführen und um gestaltend in
das Wirtschaftsgeschehen einwirken zu können.
Es bedeutet auch, dass der Beschäftigungsfonds aufgestockt wird, dass
genügend Gelder für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorhanden sind.
Die letzten Zahlen beweisen einmal mehr, dass wir Recht haben damit, vor einer
Dramatisierung der Situation der Staatsfinanzen zu warnen. Statt bei 4% lag das
öffentliche Defizit bei 1%.
Sanfte, sozialgerechte Korrekturen auf der Ein- und Ausgabenseite im Sinne
des oben skizzierten luxemburgischen Modells sind möglich und sinnvoll.
Nicht sinnvoll wäre der Versuch die so genannte Wettbewerbsfähigkeit der
Betriebe in Luxemburg, sprich die Profitabilität der Betriebe durch so genannte
Strukturreformen, die auf Lohnabbau, Sozialabbau und der Reduzierung der Rolle
des Staates fußen, verbessern zu wollen.
Mit dem OGBL ist dies nicht zu machen. Wir sind auf Grund des Ergebnisses der
Sozialwahlen von 2008 dazu legitimiert, und wir haben am 16. Mai 2009 gezeigt,
dass wir willens sind, uns zur Wehr zu setzen, falls versucht werden sollte, eine
Politik gegen die Interessen der Arbeitnehmer durchsetzen zu wollen.

Mitgeteilt vom OGBL am 27. Januar 2010