Europäisches Semester

Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheiten halten an

13032017, Luxembourg-Kirchberg, Chambre de Commerce, Grande salle de conférences, 7, rue Alcide de Gasperi, Réunion Dialogue social annuel: Semestre européen, Photo Fabrizio PizzolanteDer OGBL und die beiden anderen national repräsentativen Gewerkschaften haben sich wieder mit der Arbeitgebervereinigung UEL und der Regierung am 13. März 2017 in der Handelskammer getroffen, im Rahmen des zweiten Meinungsaustauschs des Jahres, der im Konzertierungszyklus des Europäischen Semesters stattfindet. Zur Erinnerung, das Europäische Semester ist das Hauptinstrument für die Koordinierung der europäischen Haushaltspolitiken mit dem Ziel, dass die Nationalpolitiken zur Realisierung der in der EU gemeinsam festgelegten Zielsetzungen beitragen.

Während die Regierungsmitglieder es hauptsächlich bei der allgemeinen Vorstellung der Empfehlungen der Europäischen Kommission belassen haben, hat sich die UEL ihrerseits einen Großteil der Empfehlungen zu Eigen gemacht, indem sie versucht hat, eine beliebige Bedrohung für Luxemburg zu erwähnen, die von der Europäischen Kommission unterschätzt würde.

Der OGBL-Präsident, als Sprecher für die drei gewerkschaftlichen Organisationen, hat zuerst darauf bestanden zu unterstreichen, dass die finanzielle Situation Luxemburgs von der Kommission als sehr positiv beurteilt wurde. Andererseits gibt es immerwährende Probleme, wie vor allem das Problem der Arbeitslosigkeit und des hohen Grades der sozialen Ungerechtigkeiten. André Roeltgen hat es auch nicht ausgelassen zu bemerken, dass die Kommission selbst einschätzt, dass die Binnennachfrage verstärkt werden muss, da sie den Wachstumsmotor der Luxemburger Wirtschaft stellt und in den kommenden Jahre stellen wird.

Der OGBL-Präsident hat anschließend bedauert, dass, obwohl die Europäische Kommission der Problematik der Reduzierung der Ungerechtigkeiten einen höheren Stellenwert verleihen will, sie keinen konkreten Vorschlag diesbezüglich macht, obwohl diese natürlich über eine Erhöhung der Löhne und eine Verstärkung der
Sozialtransfers geht.

Gegenüber der Infragestellung der automatischen Indexierung der Löhne und Renten, musste der OGBL-Präsident abermals daran erinnern, dass eine gewisse Zahl von Studien weitgehend beweisen, dass der Index keine negativen Folgen auf die Inflation hat. André Roeltgen hat auch an die Bedeutung des Index erinnert, wichtigstes Instrument zur Erhaltung des sozialen Friedens in Luxemburg.

Wirtschaftliche Lage, Einkommen und soziale Ungleichheiten

Auf wirtschaftlicher Ebene plädieren die luxemburgischen Gewerkschaften europaweit für eine Erhöhung der Löhne und eine Verstärkung der Sozialtranfers. Dem Lohndumping zwischen den Ländern muss auch ein Ende bereitet werden. Schließlich muss eine goldene Regel, deren Ziel die Investitionsförderung ist, im Rahmen des Europäischen Semesters eingeführt werden. Dagegen müssen die vorgesehenen Prozeduren im Falle von Defiziten abgeschafft werden. Für Luxemburg fordert der OGBL-Präsident eine Lohnerhöhung (Erhöhung des sozialen Mindestlohns sowie positive Entwicklung der Kollektivverträge). Hohe Investitionen bleiben auch notwendig.

Der OGBL-Präsident hat anschließend darauf aufmerksam gemacht, dass innerhalb der vergangenen 20 Jahre die Ungleichheiten, das Armutsrisiko und das Risiko des sozialen Ausschlusses zugenommen haben. Drei Kategorien von Personen erscheinen hier als besonders anfällig: die alleinerziehenden Eltern, die Angehörigen von Drittstaaten und die Kinder, ohne dabei die Arbeitslosen zu vergessen. Luxemburg hat auch weiterhin einer der größten Prozentsätze der „Working poor“ in Europa. In diesem Zusammenhang ist es interessant festzustellen, dass zwischen 1995 und 2015 das Niveau der 5% der höchsten Löhne um 60% zugenommen hat und dass die 20% der niedrigsten Löhne nur um 36% zugenommen haben.

Was die berüchtigte „Nicht-Erwerbstätigkeits-Falle“ betrifft, die von der Europäischen Kommission in den Vordergrund gestellt wurde, so hat André Roeltgen darum gebeten, dass alle in ihrer Analyse sehr vorsichtig bleiben. Er hat so daran erinnert, dass heute 60% der Arbeitslosen keine Entschädigung bekommen (eine außerdem nach oben begrenzte Entschädigung und zeitlich sehr eingeschränkt) und dass 15 bis 20% der RMG-Empfänger aus begründeten Ursachen von der Arbeit befreit sind. Nein, es gibt keine „Nicht-Erwerbstätigkeits-Falle“ die bekämpft werden müsste. Die Gewerkschaften setzen sich im Gegenteil für einen besseren Schutz der Arbeitslosen ein, sowie für eine Überarbeitung des Reformprojekts des RMG, das dramatische Konsequenzen für eine gewisse Zahl von verletzlichen Menschen haben könnte.

Darüber hinaus verlangen die Gewerkschaften eine strukturelle Anhebung von 10% des sozialen Mindestlohns (der steuerfrei werden muss) sowie eine Wiederaufwertung der Familienzuschüsse.

Arbeitsmarkt, Besteuerung und soziale Versicherungen

Wenn die Europäische Kommission anschließend die Entwicklung des Arbeitsmarkts in 13032017, Luxembourg-Kirchberg, Chambre de Commerce, Grande salle de conférences, 7, rue Alcide de Gasperi, Réunion Dialogue social annuel: Semestre européen, Photo Fabrizio PizzolanteLuxemburg positiv bewertet, so weisen die Gewerkschaften auf den spezifischen Charakter dieses Arbeitsmarkts hin, dessen Tabelle irreführend sein kann, wegen ihrer Zusammensetzung. Der OGBL-Präsident hat unterstrichen, dass es dringend ist, eine gesetzliche Initiative gegen die häufiger werdenden wirtschaftlich bedingten Entlassungen zu nehmen.

Die Gesetze zu den Sozialplänen und zu den Konkursen müssen auch und unbedingt reformiert werden. Die Gewerkschaften erwarten ebenfalls Initiativen hinsichtlich der Praktika (besserer Lohn und bessere Sozialversicherung) sowie Zeitsparkonten. Ein Recht auf Teilzeitrente muss ebenfalls geschaffen werden. Was nun die Berufs- und Weiterbildung betrifft, die den heutigen Realitäten schon nicht mehr entspricht, so bleibt der zurzeit vorliegende Gesetzesentwurf weitgehend unbefriedigend. Schließlich treten die Gewerkschaften dafür ein, dass das Bildungswesen so gerecht wie möglich für die gesamte Bevölkerung wird.

Was die Besteuerung betrifft, so bestand der OGBL-Präsident darauf zu unterstreichen, dass die jüngste Reform, die von der Kommission ungern gesehen wird, die Krisenmaßnahmen, die in den vergangenen Jahren eingeführt wurden, nur teilweise kompensiert. Er hat dabei ebenfalls unterstrichen, dass der Kampf gegen die Ungleichheiten eben gerade über das Steuerwesen geht. Die Luxemburger Gewerkschaften setzen sich des Weiteren für eine Indexierung der Steuertabelle, eine Steuerbefreiung des Mindestlohns, eine zusätzliche Entlastung des „Mittelstandsbuckels“ und eine umfangreichere Besteuerung der Kapitaleinkommen ein.

André Roeltgen hat anschließend die neuen Attacken der Europäischen Kommission gegen das Rentensystem, das langfristig nicht durchzuhalten sei, scharf angegriffen. Nicht nur dass diese Vorhersage auf Projektionen von mehr als 40 Jahren beruht, die natürlich nicht ernst zu nehmen sind, sondern man darf nicht vergessen, dass unser Rentensystem auf einem Verteilungssystem beruht. Nun aber hat ein Verteilungssystem keine implizite Schuld, so wie die Kommission und die UEL es versuchen darzustellen. Die Gewerkschaften sind darüber hinaus auch überrascht, dass wenn die Kommission die Pflegeversicherung anspricht, sie pausenlos von Kosten und nie von der Qualität der Dienstleistungen spricht.

Wohnen

Schließlich, wenn es um das Wohnen geht, ein immer wiederkehrendes Problem in Luxemburg, stellt die Kommission zu Recht das Ungleichgewicht zwischen der Preis- und der Lohnentwicklung fest. In diesem Punkt appellieren die Gewerkschaften, schärfer gegen Wohnungszurückbehaltung vorzugehen, eine Studie durchzuführen, um die rechtlichen Mittel festzulegen, die es erlauben würden, die Preise zu regulieren, die aktuellen Probleme bezüglich dem Zugang zu Mietzuschüssen zu lösen und einen Prozentsatz von Sozialwohnungen, im Verhältnis zur Armutsrate, festzulegen.

>> Von den drei national repräsentativen Gewerkschaften vorgelegtes Dokument (im PDF-Format)