Die Immigrierten­abteilung feiert 50 Jahre Nelkenrevolution

Volles Haus in der Maison du Peuple in Esch/Alzette am 3. Mai. Mehr als hundert Personen waren gekommen, um an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution teilzunehmen, die 1974 die faschistische Diktatur in Portugal stürzte. Der Abend wurde von der OGBL-Immigriertenabteilung organisiert.

Nach der Begrüßung durch die Präsidentin der Immigriertenabteilung, Sónia Neves, begann der Abend mit einer Podiumsdiskussion, die von José Correia von der Immigriertenabteilung moderiert wurde und an der folgende Personen teilnahmen: Mars Di Bartolomeo (LSAP-Abgeordneter), Maria Eduarda Macedo (ehemalige Gemeinderätin der Stadt Luxemburg für déi gréng), Carlos Trindade (Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und ehemalige Führungskraft der portugiesischen Gewerkschaft CGTP) und Acácio Pinheiro (langjähriges Mitglied des OGBL und ehemaliger Soldat im Kolonialkrieg).

In seiner Einführung ging José Correia auf die wichtigsten Daten der Jahre der Diktatur in Portugal ein. 1926 wurde die Erste Republik durch einen Militärputsch beendet und eine Diktatur errichtet, die 1933 mit dem Regierungsantritt von António de Oliveira Salazar verschärft wurde. Dieser übernahm die gesamte Macht und schuf ein neues Regime, den „Estado Novo“ (Neuer Staat). Er blieb bis 1968 an der Macht. Sein Nachfolger wurde Marcello Caetano mit dem Versprechen, den Kolonialkrieg zu beenden, der sich seit 1961 von Angola über Mosambik bis nach Guinea-Bissau ausgebreitet hatte. Die von Caetano versprochene Öffnung kam nie und am Morgen des 25. April 1974 stürzten junge Hauptleute der Armee die herrschende Macht mit den Zielen: Entkolonialisierung, Demokratisierung und Entwicklung des Landes.

Mars Di Bartolomeo war zu dieser Zeit 22 Jahre alt und ein junger Journalist beim Tageblatt. Er erinnerte sich, wie er die Telex und die Nachrichten über den in Portugal stattfindenden Staatsstreich eintreffen sah und welche enorme Welle der Hoffnung dies in der Redaktion auslöste. Mars Di Bartolomeo fand die Kolumne, die er am nächsten Tag schrieb, wieder und gestand, dass ihm dabei „die Tränen in den Augen“ standen. Er erinnerte auch daran, dass zu dieser Zeit Franco noch in Spanien „herrschte“ und dass im September 1973 in Chile gerade ein Staatsstreich stattgefunden hatte.

Carlos Trindade war 1974 19 Jahre alt. Er erinnert sich vor allem an den Jubel in den Straßen von Lissabon am Morgen des 25. April. Es herrschte Freude, Freiheitsdrang und die Menschen winkten den Soldaten zu, die in den Panzern vorbeizogen. Da war auch dieses junge Mädchen, das plötzlich eine Nelke in den Gewehrlauf eines Soldaten steckte, der sie zum Symbol der Revolution machte. Carlos Trindade, der bereits seit seinem 17. Lebensjahr ein aktiver Gewerkschafter war, erinnert sich vor allem an die politische und gewerkschaftliche Freiheit, die die Revolution mit sich brachte. Das einschneidendste Ereignis war für ihn der 1. Mai 1974, der Tag, an dem Millionen von Menschen auf die Straße gingen, um die neu errungene Freiheit zu feiern und zum ersten Mal den Tag der Arbeit zu begehen.

Maria Eduarda Macedo war damals 14 Jahre alt und wurde an jenem Morgen von ihrem Großvater durch die Straßen Lissabons geführt, die bereits voller Menschen waren. Maria Eduarda Macedo, Tochter der Sängerin Simone de Oliveira, die damals schon ein Star war, stammt aus einem eher privilegierten Umfeld und sagt, dass sie am meisten beeindruckt hat, dass die Menschen zum ersten Mal ohne Zwang und ohne Angst sprachen. Sie sprachen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Maria Eduarda Macedo erinnert sich auch daran, was Frauen vor 1974 nicht tun konnten: Sie durften z. B. kein Bankkonto haben, bestimmte Kleidung tragen, allein reisen oder ohne Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes arbeiten. Nur ein Viertel der Frauen war berufstätig. Scheidung, Verhütungsmittel und Abtreibung waren verboten.

Acácio Pinheiro war 1974 ein junger Soldat im Alter von 23 Jahren. Am Morgen des 25. April war er in Cabinda, Angola, auf einer Mission in der Wildnis. Seine erste Reaktion war: „Schon wieder ein Staatsstreich?“. Es hatte bereits drei Versuche gegeben, das Regime zu stürzen: zwei im Jahr 1961 und einen im März 1974. Acácio Pinheiro erinnerte sich, dass er und seine Männer, die keine Missionen zu absolvieren hatten, nur davon träumten, in das „Mutterland“ Portugal zurückzukehren. Als er 1975 in sein kleines Dorf Samel (Vilarinho do Bairro, Aveiro) zurückkehrte, erinnerte er sich, dass sich alles verändert hatte: die freie Einstellung der Menschen, die Fröhlichkeit und die Offenheit der Menschen selbst im Hinterland. Der 1. Mai 1975 war ein Schock für ihn, denn er hatte noch nie zuvor so viele Menschen auf der Straße gesehen, die den Tag der Arbeit feierten.

Alle Redner der Podiumsdiskussion betonten die Bedeutung der Tatsache, dass die Demokratie in Portugal heute bereits länger lebt als die Diktatur. Und dass „die Errungenschaften des April“, Freiheit und Demokratie um jeden Preis bewahrt werden müssen, insbesondere in Zeiten politischer und sozialer Polarisierung.

José Correia erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die extreme Rechte, die sich auf das Erbe der Salazaristen beruft, 2019 mit der Wahl eines Abgeordneten ins portugiesische Parlament zurückgekehrt ist, 2022 dann 12 Abgeordnete erhielt und seit den Parlamentswahlen vom 10. März 2024 nunmehr 50 Abgeordnete zählt. In diesem Moment, so erinnerte José Correia, „sind die Aussagen unserer Gäste wichtig für die Erinnerungspflicht an die Diktatur und die Nelkenrevolution“. Freiheit ist nie selbstverständlich, sie muss zu allen Zeiten verteidigt werden, denn wie der Schriftsteller George Santayana sagte: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“.

Im Laufe des Abends wurden über 100 Nelken an das Publikum verschenkt, das auch die Revolutionshymne „Grândola Vila Morena“ von der Grupo Cantares Alentejanos zu hören bekam. Die Schauspielerin Magaly Teixeira trat auf, um Gedichte der Revolution vorzutragen. Der Abend endete mit einem Konzert des Kontrabassisten Miguel Calhaz, der aus der Stadt Sertã angereist war, um sein neues Album „ContraCantos“ mit „Liedern des April“ vorzustellen.

Dieser Artikel wurde im Aktuell veröffentlicht (3/2024)