12. November 2008. Tag der Sozialwahlen. Bei der Supermarktkette Cactus S.A. fällt der Wählerwille der 3.170-köpfigen Belegschaft sehr deutlich aus: OGBL 68%, „Alternativ Waïss Löscht“ 22%, LCGB 10%. Auf der Liste des OGBL erhält Patrick Ourth, der bereits während der Mandatszeit 2003-2008 Präsident des Arbeiterausschusses war, die meisten Stimmen. Die neu gewählten Personaldelegierten haben den Auftrag des Personals verstanden und wählen Patrick Ourth für die nächsten 5 Jahre zum Präsidenten des neuen Ausschusses, der gemäß dem neuen Gesetz zum Einheitsstatut erstmals das gesamte Personal vertritt.
In den dann folgenden Monaten wird ordentliche Delegationsarbeit geleistet. Die Direktion der Cactus S.A. findet das nicht gut. Der Präsident muss weg, er soll aus seinem Amt geschasst werden und dieses Exempel soll zeigen, wer bei der Cactus S.A. Herr im Haus ist. Am 2. November 2009 suspendiert die Direktion Patrick Ourth vom Dienst und beantragt, wie es das Gesetz über die Personaldelegationen bei einer „mise à pied“ vorschreibt, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor dem Arbeitsgericht Luxemburg. Gleichzeitig werden die Vizepräsidentin des Ausschusses Sabine Paci (OGBL) und die freigestellte Personaldelegierte Suzette Haentges (OGBL) beide schriftlich ermahnt, damit sie in Zukunft stiller sind. Den drei wird vorgeworfen, sich in einem Brief gegenüber dem Personaldirektor der Cactus S.A. „sehr respektlos, abfällig und beleidigend“ geäußert zu haben.
Wie gering die Aussichten der Cactus S.A. sein dürften, vor Gericht recht zu bekommen, deutet sich dann bereits in der Ordonnanz vom 18. Dezember 2009 an, als die Präsidentin des Arbeitsgerichts Luxemburg der Anfrage von Partick Ourth stattgibt und ihm die Lohnfortzahlung bis zum Abschluss des Hauptverfahrens gewährt. Am 24. März 2010 (seit 4 Monaten ist der Präsident der Personaldelegation nicht mehr im Betrieb) weist das Arbeitsgericht Luxemburg die Anfrage der Cactus S.A. für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab und hebt für Patrick Ourth die Suspendierung vom Dienst auf.
Doch die Cactus S.A. will das nicht, und weil sie es nicht will, sollen alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft werden: die Supermarktkette geht in Berufung gegen das Urteil und reicht darüber hinaus eine strafrechtliche Klage gegen Patrick Ourth ein!
Das Gericht entscheidet am 10. März 2011 (seit 16 Monaten ist der Präsident der Personaldelegation nicht mehr im Betrieb), dass es die Berufung erst nach dem Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlung bearbeiten wird.
Am 18. April 2012 (seit 29 Monaten ist der Präsident der Personaldelegation nicht mehr im Betrieb) entscheidet die Anklagekammer des Obersten Gerichts der Anklage keine Folge zu leisten.
Die Cactus S.A. gibt nicht nach und legt auch gegen dieses Urteil Berufung ein, die am 26. Juni 2012 (seit 31 Monaten ist der Präsident der Personaldelegation nicht mehr im Betrieb) abgewiesen wird. Der Betrieb beharrt trotzdem auf der Fortsetzung des Verfahrens.
Am 28. Februar 2013 ist es dann endlich so weit. Das Oberste Gericht bestätigt das erste Urteil vom 24. März 2010, annulliert in zweiter Instanz die Suspendierung Patrick Ourths vom Dienst und lehnt die Anfrage der Cactus S.A. zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab.
41 Monate nach seiner ungerechtfertigten Suspendierung vom Dienst wird der demokratisch gewählte Präsident des Personals jetzt in den Betrieb zurückkehren!
Patrick Ourth hat vor Gericht gewonnen. Die Cactus S.A. hat auch gewonnen: 41 von 60 Monaten hat sie erfolgreich verhindert, dass der Präsident der Personaldelegation sein Mandat ausüben konnte. Der moralische Schaden, den die Cactus S.A. gegenüber den Personaldelegierten und dem Personal insgesamt verursacht hat, ist hoch. 8 Monate vor den nächsten Wahlen kommt der Präsident in den Betrieb zurück, ihm wurde die Chance genommen, sich, wie es das Gesetz vorsieht, für das Personal einzusetzen. Er ist gezwungen, ohne persönliche Bilanz in die Sozialwahlen 2013 zu ziehen.
Die Cactus S.A. hat zwar vor Gericht verloren, aber sie hat zu keinem Moment das Gesetz verletzt. Sie hat nur die sehr schlechten gesetzlichen Bestimmungen über den Kündigungsschutz der gewählten Personalvertreter ausgenutzt! Deshalb muss nicht nur im Allgemeinen ein neues Gesetz über die Personaldelegation her, sondern es muss im Besonderen der Kündigungsschutz der Personaldelegierten verbessert werden, und zwar tiefgreifend. Die gesetzlichen Möglichkeiten für den Betrieb, ein Arbeitsverhältnis mit einem Personaldelegierten aufzulösen, müssen eingeschränkt und die gerichtlichen Prozeduren zeitlich gestrafft werden.
Es darf in Zukunft nicht mehr passieren, dass eine Betriebsführung das Recht des Personals auf betriebliche Demokratie und auf die über die Sozialwahlen herbeigeführte Legitimation der Personalvertretung außer Kraft setzen kann. Der OGBL dankt Patrick Ourth dafür, dass er für sein Mandat 41 Monate lang konsequent und vorbildhaft gekämpft hat. Im Fall einer gerichtlichen Niederlage hätte er 41 Monatslöhne zurückzahlen müssen. Die Cactus S.A. hat übrigens auch die Ermahnungen gegen die Vizepräsidentin des Ausschusses und gegen die freigestellte Personaldelegierte zurückziehen müssen.
André Roeltgen Generalsekretär des OGBL
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