Schule als Spiegelbild der Gesellschaft

Die Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise: all dies verschärft die sozialen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft, und es ist nicht absehbar, was die nächsten Monate noch bringen werden. Der Gini-Koeffizient, ein statistisches Instrument zum Erfassen der Einkommensungleichheit, ist von 2000 bis 2022 von 0,26 auf 0,32 signifikant in die Höhe geschnellt. 21,9 Prozent der Bevölkerung sind momentan von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.

All diese Zahlen kann man im Bildungsbericht nachlesen, der im Herbst 2021 erschienen ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Verfasser des Bildungsberichts die sozialen Ungerechtigkeiten hervorheben.

Die Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinandergeht, hat das direkte Auswirkungen auf das Bildungssystem und produziert Bildungsungerechtigkeit.

Die standardisierten Schulleistungsstudien (ÉpStan) zeigen ganz klare Kompetenzunterschiede ab dem Zyklus 3.1. Diese Leistungsrückstände werden in den folgenden Schuljahren in der Regel nicht mehr aufgeholt. Die schulische Laufbahn ist für viele Schüler ab dem Zyklus 3.1 quasi vorgezeichnet. Die großen Verlierer sind „Schülerinnen und Schüler, die zu Hause weder Luxemburgisch noch Deutsch sprechen und aus sozial benachteiligten Familien kommen“ .

Bei der Bildungsungerechtigkeit handelt es sich demnach um die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft, die große Unterschiede zwischen den Einwohnern schafft, sowohl was ihr Einkommen als auch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen angeht.

Nun haben aber viele den Anspruch an die Schule, dass diese soziale Ungerechtigkeit und somit Bildungsungerechtigkeit ausmerzen soll. Die Schule soll alles zurechtbiegen, was die Gesellschaft verkorkst hat. Aber die Schule kann die sozio-ökonomische Schere nur begrenzt durch Bildung kompensieren.

Minister Meisch kündigt in regelmäßigen Abständen Maßnahmen an, um gegen die Bildungsungerechtigkeit vorzugehen. Allerdings werden diese vereinzelten Maßnahmen immer nur häppchenweise verkündet, ohne dass sie im Voraus mit den Gewerkschaften diskutiert wurden. Diese werden zwar regelmäßig zu Gesprächen aufs Ministerium eingeladen, aber nur um über längst getroffene Entscheidungen informiert zu werden.

Dies führt zu viel Frustration seitens der Lehrer und Lehrerinnen. Wenn das Gesamtkonzept nicht ersichtlich ist und die Kommunikation mehr als zu wünschen übriglässt, schafft man kein Vertrauen. Lehrer und Lehrerinnen müssen von der Wichtigkeit und Machbarkeit der Reformen überzeugt sein, und wissen, mit welcher Maßnahme welches Ziel erreicht und wie dieses evaluiert werden soll. Nur diese Transparenz garantiert die Umsetzbarkeit und Implementierung der Reformen.

Eine der Neuerungen in diesem Schuljahr ist die Einführung der landesweit kostenlosen Hausaufgabenhilfe. Leider entpuppt sich die mit viel Brimborium angekündigte und ohne Rücksprache mit den Gewerkschaften beschlossene Hausaufgabenhilfe als Mogelpackung. Es handelt sich um eine reine Aufsicht. Richtige Nachhilfe bleibt weiterhin ein Privileg für die besser gestellten Familien, die es sich leisten können, d.h. die noch die Möglichkeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern und/oder eine private Nachhilfe zu bezahlen. Wir brauchen die nötigen Ressourcen, um die schwachen Schüler während der regulären Schulzeit in der Schule mit geschultem Personal zu unterstützen.

Durch die Hintertür der kostenlosen Hausaufgabenhilfe wird das „e-Bichelchen“ reingeschmuggelt. Dies ist eine App, die als Kommunikationsmittel zwischen Schule, Eltern und Betreuungsstrukturen fungieren soll. Es stellt sich die Frage, was der reelle Mehrwert dieser Applikation ist. Brauchen wir nun tatsächlich eine App, um unter Schulpartnern zu kommunizieren? Dies wäre auf jeden Fall ein Armutszeugnis!

Die Alphabetisierung auf Französisch läuft in diesem Schuljahr als Pilotprojekt an vier verschiedenen Schulen an. Dies ist sicherlich ein interessantes Konzept, das der kulturellen Diversität des Landes Rechnung trägt. Wir vermissen aber auch hier den Dialog mit den Schulpartnern und hätten uns eine breit angelegte Debatte gewünscht, bei der man auch auf kritischere Stimmen und die Gewerkschaften gehört hätte.

Eine grundlegende Reform des Sprachenunterrichts vom Zyklus 1 bis zum Zyklus 4 ist unumgänglich. Es reicht nicht, die Alphabetisierungssprache zu ändern und dann trotzdem den Anspruch aufrecht zu erhalten, dass alle Schüler und Schülerinnen im Zyklus 4 sowohl im Deutschen als auch im Französischen Erstsprachniveau wie bisher erreichen. Wir brauchen eine Flexibilisierung des Sprachenunterrichts, die der Tatsache Rechnung trägt, dass nur noch ein Drittel der Kinder zu Hause Luxemburgisch spricht. Genauso ist eine Überarbeitung des Curriculums im Zyklus 1 fällig, bei dem die Wichtigkeit des Erlernens der Vorläuferfertigkeiten berücksichtigt wird.

Ein Thema, das sowohl das „Enseignement fondamental“ als auch das „Enseignement secondaire“ betrifft, ist die Entscheidung, das Schulpflichtalter auf 18 Jahre anzuheben. Öffentlichkeitswirksam inszeniert, glaubt der Minister mit dieser Entscheidung dem akuten Problem des Schulabbrechens entgegenzusteuern. Hinter verschlossenen Türen wird damit aber auch die schleichende Privatisierung der öffentlichen Schule vorangetrieben, da die Betreuung der gefährdeten Schüler.innen vor allem von privaten Trägern wie Arcus übernommen wird.

Das SEW/OGBL hat sich seit langem lautstark gegen den „Ausverkauf“ der öffentlichen Schulen gewehrt und betont, dass das Problem des Schulabbruchs nicht mit einer Verlängerung der Schulpflicht gelöst werden wird, sondern mit einer Verbesserung der Situation von Schüler.innen und Lehrer.innen in den Schulen.


Die Schule soll alles zurechtbiegen, was die Gesellschaft verkorkst hat. Aber die Schule kann die sozio-ökonomische Schere nur begrenzt durch Bildung kompensieren.


Mit all den verschiedenen Schulformaten, Lernniveaus und spezialisierten Sektionen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, hat das System Meisch ein Bildungslabyrinth geschaffen, das zunehmend undurchschaubarer wird. Am Ende des „Cycle inférieur“ im „Enseignement Secondaire Géneral“ (ESG) müssen die Schüler mit ihren Eltern entscheiden, wie ihre zukünftige schulische oder berufliche Ausbildung aussehen wird.
Das duale System von „Cours avancé“ und „Cours de base“ im Sprach- und Mathematikunterricht birgt sicherlich die Möglichkeit eines individualisierten Lernprozesses, doch in vielen Klassen kann dieser individualisierte Lernprozess nicht richtig umgesetzt werden, weil die Lehrkräfte beide Niveaus in einer Klasse unterrichten müssen. Durch zum Teil sehr lasche Promotionskriterien in den drei ersten Schuljahren haben viele Schüler.innen kein adäquates Bild von ihren Fähigkeiten und Vorlieben.
Diese Tatsache ist sinnbildlich für viele Reformen der letzten Jahre, die gute Ansätze enthalten, aber die durch die Rahmenbedingungen nur Wunschdenken bleiben. Das SEW/OGBL fordert deshalb ein Überarbeiten der Promotionskriterien und der Orientierung im ESG.

Bildungsgerechtigkeit bedeutet auch, dass die Berufsausbildung wieder mehr Wertschätzung erfährt. Der Fachkräftemangel ist allseits bekannt, doch solange keine reelle Bereitschaft besteht, die Berufsausbildung attraktiver zu gestalten, wird sie weiterhin gegen die negative Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ankämpfen müssen. Es reicht nicht, Plakate mit leeren Parolen zu veröffentlichen, sondern es gilt, die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Das SEW/OGBL fordert deshalb, dass:
die Schüler.innen im DAP ihr Arbeitsmaterial bezahlt bekommen, sowie es auch bei den Schüler.innen im ESC und ESG mit den gratis Schulbüchern der Fall ist.
den Schüler.innen klar aufgezeigt wird, was ihre beruflichen Perspektiven sind, wenn sie zum Beispiel zeitnah eine Meisterprüfung bestehen würden.

das Angebot im DAP den sozialen und ökonomischen Gegebenheiten angepasst wird.
Das Beispiel des zum Schulanfang anlaufenden „DAP Éducation“ zeigt aber auch, dass man klare Aufnahmekriterien aufstellen muss, um zu verhindern, dass die Schüler.innen alle auf die vermeintlich leichteste Ausbildung springen, und so ein Mangel in anderen Ausbildungen entsteht.

Man schafft keine Bildungsgerechtigkeit, indem man das Schulwesen regelrecht mit einer hohen Anzahl an nationalen und internationalen Schulen verstümmelt. In diesem Bildungsdschungel riskieren sozial schwächere Schüler.innen den Durchblick zu verlieren, während Schüler.innen aus gutgestellten Schichten unverhältnismäßige Vorteile haben. Das SEW/OGBL setzt sich dafür ein, dass die öffentliche Schule jedem Schüler und jederer Schülerin die gleichen schulischen Möglichkeiten bietet. Deshalb braucht unser Schulsystem tiefgreifende Reformen, die durchdacht sind und mit allen Teilnehmern abgesprochen werden.

Das SEW/OGBL wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte an den öffentlichen internationalen Schulen zugunsten der Lehrkräfte klarer definiert werden. Im vergangenen Jahr wurden viele, teilweise erschreckende Missstände aufgedeckt. Es ist uns gelungen, einige Punkte im Dialog mit dem Bildungsministerium zu verbessern und einen klaren Rahmen zu definieren, der keine Manipulation durch die Schulleitung erlaubt.

Fazit:
Bildungsbenachteiligung entsteht nur zu einem kleinen Teil in der Schule, und deshalb kann die Schule nicht alle Antworten liefern. Sie ist dabei auf andere gesellschaftliche Kräfte angewiesen.

In dem Kontext ist es wichtig, dass weiter Anstrengungen unternommen werden, um gegen die steigenden sozialen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft vorzugehen, um die Kaufkraft zu erhalten und zu stärken und um die Eltern konsequent zu unterstützen.

Die Schule soll sich gezielt auf ihre Kernaufgabe, das Vermitteln von Bildung, konzentrieren, um durch das gemeinsame Wissen und Können den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu garantieren. Wir werden uns als SEW/OGBL weiter für eine gerechtere Schule einsetzen.