Wäre es in dieser Woche im Pflegeheim “An de Wisen” in Bettemburg zur Arbeitsniederlegung gekommen, wäre dies, unabhängig vom Ausgang des Streiks, eine Zäsur im luxemburgischen Gesundheitswesen gewesen.
Die Arbeit zu verweigern und in den Arbeitskampf zu treten ist für Krankenpfleger, Krankenpflegehelfer und Erzieher eine enorme Überwindung und eine hohe psychische Belastung. Ein Streik im Gesundheitswesen ist die Verweigerung dessen, was für jeden einzelnen von ihnen beruflich das Allerwichtigste ist, nämlich das Wohl der Menschen, die sie pflegen und betreuen. Ihr berufliches Bewusstsein und Gewissen werden dabei auf das Höchste herausgefordert. Denn bei jedem von ihnen gibt es einen moralischen und ethischen Widerstand gegen das Niederlegen der Arbeit. Wenn sie trotz alledem von ihrem gesetzlichen Streikrecht Gebrauch machen, dann ist es der Ausdruck dafür, dass ihre legitimen Arbeitsinteressen in höchstem Maße angegriffen sind und dass ihnen absolut keine andere Handlungsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht.
Im allerletzten Moment wurde der Streik verhindert. Der Minister für Soziale Sicherheit hat mit Unterstützung der gesamten Regierung politische Verantwortung übernommen, um das Schlimmste abzuwenden. An der absoluten Notwendigkeit dieses Handelns kann und darf nicht gezweifelt werden. Beim Arbeitskonflikt im Bettemburger Pflegeheim ging es nämlich um die prinzipielle Frage, was wichtiger für das luxemburgische Gesundheitswesen ist: die Dividenden der Aktionäre des multinationalen Konzerns SODEXO oder die Wahrung der Arbeits- und Lohnbedingungen des Personals?
Dieser Konflikt hat auf sehr eindrucksvolle Weise veranschaulicht, zu was die SODEXO SA bereit ist, wenn es um ihre Gewinnmargen geht. Monatelang versuchte der Direktor mit rücksichtslosem erpresserischen Druck und Angstmacherei das Personal in die Knie und zur freiwilligen Aufgabe ihrer Arbeits- und Lohninteressen zu zwingen. Er scheiterte an der eindrucksvollen und imponierenden Standhaftigkeit des Personals und seines Betriebsrats.
Um den gewerkschaftlichen Widerstand doch noch zu brechen, torpedierte er zu allem Überfluss dann noch den Verlauf und die offizielle gesetzliche Prozedur des vom OGBL eingeleiteten Schlichtungsverfahrens, in dem er Hals über Kopf die Entlassungsprozedur gegen 66 Personalmitglieder einleitete. Ein skandalöses Vorgehen, das in der langen Geschichte des Nationalen Schlichtungsamtes seinesgleichen sucht und das die ständigen Mitglieder des Schlichtungsamtes dazu bewog, unverzüglich der Anfrage des OGBL für das offizielle Scheitern der Schlichtung stattzugeben und damit den Weg für den Streik freizugeben.
Die Intervention des Ministers für Soziale Sicherheit war sehr wichtig.. Doch das was im Bettemburger Pflegeheim passiert ist kann nicht einfach ad acta gelegt werden. Das Vorgehen der SODEXO und der Direktion haben nichts mehr mit einer verantwortungsvollen Haltung gegenüber den Interessen des Gesundheitswesens zu tun. Weder im Sinn des Auftrags gegenüber den zu betreuenden und zu pflegenden Menschen, noch gegenüber dem Personal, das beruflich im Gesundheitswesen arbeitstätig ist.
Dies ist umso verwerflicher, wenn man weiß, dass der multinationale Konzern SODEXO seit den 90er Jahren satte kommerzielle Gewinne mit den Geldern der Öffentlichkeit, der Sozialversicherung und der privaten Beiträge der pflegebedürftigen Bewohner des Pflegeheims macht. Dies gilt übrigens auch für andere Pflegeeinrichtungen der SODEXO oder anderer privatkommerzieller Anbieter im Gesundheitswesen.
Luxemburg braucht nachweisbar keinen privaten Kommerz in seinem Gesundheits- und Sozialwesen. Die allermeisten Betriebe des luxemburgischen Gesundheit- und Sozialwesens funktionieren nicht auf einer privatkommerziellen Basis und ihre Leistungsqualität war bislang unbestritten. Aber es gibt seit längerem Sand im Getriebe. Der in Bettemburg abgewendete Streik widerspiegelt Entwicklungen im luxemburgischen Gesundheits- und Sozialwesen, die eher auf eine weitere Verschärfung als auf eine Minderung der Konfliktpotentiale hindeuten.
Die Luxemburger Regierung ist gefordert. Sie muss das öffentliche bzw. nichtprofitorientierte Gesundheit- und Sozialwesen stärken und nachhaltig absichern. Politische und gesetzliche Kurskorrekturen sind notwendig.
Zum einen müssen die Spielräume für die Profitwirtschaft zurück geschraubt werden, die sich aufgrund politischer Entscheidungen vergangener Jahre eher geöffnet als verengt haben.
Zum anderen müssen Kurskorrekturen bei den gesetzlichen Finanzierungssystemen der Betriebe sowohl im Gesundheits- als auch im Sozialbereich vorgenommen werden.
Seit Jahren warnt der OGBL u.a. vor der Finanzierung mittels sogenannter Pauschaltarife die den mitunter stark unterschiedlichen Kostensituationen der einzelnen Betriebe ungenügend Rechnung tragen. Die Konsequenz hiervon sind negative Entwicklungen, die mittlerweile ebenfalls in nichtgewinnorientierten Betrieben leider zunehmen.
Die aktuelle Diskussion über die Reform der Pflegeversicherung muss sich endlich diesen Problemen widmen. Noch reicht die Zeit dazu.
Für den OGBL gilt: Steuergelder, Versicherungsgelder oder privatindividuelle Beiträge müssen der Pflege- und Betreuungsqualität, guten beruflichen Qualifikationen, guter Arbeit und guten Arbeitsbedingungen für das gesamte Personal dienen. Das eine ist nicht von dem anderen zu trennen.
André Roeltgen, Präsident des OGBL, am 23. Februar 2017
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