Wieder einmal explodieren die Infektionszahlen. Wieder einmal erleben wir strenge sanitäre Einschränkungen in unserem Privat- und Berufsleben. Impfen, impfen, impfen lautet der Appell an die individuelle Verantwortung um den Weg aus einer kollektiven Krise zu ebnen. Jeder Einzelne kann hier dazu beitragen, dass wir unsere Spitäler vor dem fatalen Kollaps schützen. Es gibt jedoch auch eine politische Verantwortung, die nicht nur darin besteht, jeden Einzelnen auf seine Aufgabe aufmerksam zu machen. Neben der notwendigen Erhöhung der Impfquote muss parallel unser öffentliches Gesundheitssystem geschützt, gestärkt und weiterentwickelt werden. Und nicht in seinen Grundfesten erschüttert werden. Umso unverständlicher ist es, dass heute, 20 Monate nach Beginn der Pandemie, genau dies passieren soll und unser Gesundheitssystem privatisiert werden soll.
Vor einigen Wochen sendete Radio 100,7 die Nachricht, dass ein höchst umstrittener Gesetzesvorentwurf diesbezüglich überhaupt nicht vom Gesundheitsministerium selbst verfasst wurde, sondern quasi direkt aus der Feder der AMMD und des Collège médical stammt. Diesem handfesten Skandal wurde jedoch kaum Beachtung geschenkt. Dabei geht es bei dem Gesetzesvorentwurf um nichts anderes als die knallharte private Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens.
In Zukunft soll es der liberalen Medizin erlaubt sein, kommerzielle Betriebsgesellschaften zu betreiben. Besonders enttäuschend ist der Umstand, dass eine Regierungspartei, die bis zur Gegenwart vorgab, sich für ein öffentliches System der Gesundheitsversorgung einzusetzen, jetzt im Begriff ist, das Gesundheitswesen dem Prinzip der profitorientierten Marktliberalisierung preiszugeben und zu unterwerfen. Und dies in Zeiten einer weltweiten Pandemie.
Der OGBL fordert den Stopp dieser Gesetzesinitiative, die im übrigen dunkle Wolken für die soziale Sicherheit Luxemburgs, für die obligatorische Konventionierung der Ärzteschaft und für eine zielführende und effiziente Finanzierung des Gesundheitswesens aufziehen lässt. Wenn korporatistische Lobbyisten zu Gesetzesschreibern im Gesundheitsministerium werden, haben wir ein handfestes demokratisches Defizit, das im übrigen den sogenannten „Gesondheetsdësch“ zur Farce macht. Besonders verwerflich ist in diesem Zusammenhang, dass von der Coronakrise profitiert wird, um so still wie nur möglich höchst kontroverse politische Vorhaben durchzupeitschen.
Andererseits wird alles andere politisch Notwendige und Wichtige, das, wenn keine Pandemie wäre, im Fokus der Politik, der Medien und der öffentlichen Diskussion stehen würde, vertagt.
Die Wohnungskrise wütet weiter. Sie nimmt an Schärfe zu. Die Schere zwischen den Wohnkosten und den Einkommen geht weiter ungebremst auseinander. Die Zahl der Haushalte, die einer finanziellen Überbelastung ausgeliefert sind, nimmt weiter zu. Längst ist die Wohnungskrise zur Triebkraft eines gefährlichen Anstiegs der sozialen Ungleichheit in Luxemburg geworden.
Die Regierung hätte noch zwei Jahre lang Zeit und Gelegenheit, um ihr Versagen in der Bekämpfung der Krise zu verhindern! Die Zeichen stehen allerdings sehr schlecht. Es fehlt ein Gesetzesvorhaben gegen die Boden- und Immobilienspekulation bzw. gegen die exzessive Hortung von Boden und Immobilien. Es liegt ein Gesetzesvorhaben über den Mietvertrag vor, das keine an die Einkommensentwicklung gekoppelte Deckelung der Mietpreise vorsieht. Die politischen Ankündigungen im Zusammenhang mit der Reform der Grundsteuer bleiben vage. Ernüchternd ist ebenfalls die Höhe der mehrjährigen staatlichen Finanzdotation für den Wohnungsfonds. Sie ist völlig unzureichend, um der dringend notwendigen massiven Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus und des öffentlichen Bodenaufkaufs gerecht zu werden.
Die Zurückstellung der Steuerreform war mit der Ankündigung der Regierung verbunden, dass keine Steuern erhöht werden würden. Pustekuchen! Für die untere und mittlere Schicht der Steuerzahler erhöht sich mit der Inflation die reale Steuerlast. Der OGBL fordert die Regierung auf, Wort zu halten und eine entsprechende Anpassung der Steuertabelle vorzunehmen. Dies würde gleichzeitig die Entwertung der Steuerkredite aufheben.
Die stetig zunehmenden sozialen Ungleichheiten in einem der reichsten Länder der Welt, die fehlende Aufwertung der Familienzulagen, die fehlende strukturelle Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die explosionsartig ansteigenden Energiepreise, die lächerlich geringe Aufwertung der Teuerungszulage, die problematisch niedrige Mindestrente, die überfällige Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung, und so vieles mehr runden die Liste des politischen Handlungsbedarfs ab.
Pandemie hin oder her, es ist an der Zeit zum Handeln. Grad Elo!
Nora Back, Präsidentin des OGBL
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