Aktuell: Armand Drews, Sie wurden kürzlich zum Vorsitzenden des „Cercle de Coopération des ONG“ gewählt, eines Verbunds von nichtstaatlichen Organisationen, die im Bereich der humanitären Hilfe tätig sind. Was genau ist der „Cercle de Coopération“?
Armand Drews: In der Charta des „Cercle de Coopération“ sind die Begriffe „soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschenrechte“ hervorgehoben. Die derzeit rund 80 einheimischen ONGs, die Mitglied des Cercle sind, haben alle Ziele, die in diese Richtung gehen, zusammenfassend könnte man sagen, dass sie alle im Bereich der Entwicklungshilfe tätig sind. Die Tätigkeit von ONGs, also von nichtstaatlichen Organisationen, kann in Luxemburg auf eine relativ breite Zustimmung der Öffentlichkeit zählen und findet auch weitgehende Unterstützung und Anerkennung bei staatlichen Stellen. Es gibt große und kleine ONGs und außerdem ist ihre Diversität ziemlich groß. Was allerdings auch ein Vorteil ist, weil so alle gesellschaftlichen Strömungen im Cercle vertreten sind. Im gemeinsamen Verbund können die kleinen ONGs von der Erfahrung der größeren profitieren.
Aktuell: Was tut der Cercle für die ONGs?
AD: Unser „Bureau d’assistance technique“ leistet logistische Hilfe, hilft z. B. Projekte auszuarbeiten, Budgets aufzustellen, Antragsformulare auszufüllen und Projekte bei den zuständigen amtlichen Stellen zu präsentieren und so staatliche Unterstützung zu beantragen. Wir vertreten die ONGs bei staatlichen Stellen, beim Parlament und der Regierung sowie der EU. Darüber hinaus bieten wir auch Formationskurse an und arbeiten an der Sensibilisierung der Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang hat der Cercle anlässlich seiner Generalversammlung im März dieses Jahres einen Appell an die Regierung gerichtet, sich für ein Verbot der Spekulation mit Lebensmitteln an der Börse einzusetzen. Leider ist dieser Appell bis heute ohne Antwort geblieben. Wir hatten als „Cercle de Coopération“ auch schon eine erste Unterredung mit dem neuen Ressortminister, Marc Spautz, der uns versichert hat, dass er die gute Zusammenarbeit, die wir mit seiner Vorgängerin Marie-Josée Jacobs,hatten, fortzusetzen gedenkt. Und wir haben kürzlich einen Forderungskatalog an den Minister überreicht, in dem wir die Ziele der Entwicklungshilfe für die Zukunft aufgelistet haben. Dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vereinten Nationen nicht mehr ausschließlich die Bekämpfung der Armut in den Mittelpunkt der Entwicklungshilfe stellen, sondern viel stärker auch die sozialen und politischen Rechte der Menschen in den Entwicklungsländern berücksichtigen wollen.
Aktuell: Sie wurden als Vertreter der ONG OGBL Solidarité Syndicale an die Spitze des «Cercle de Coopération» gewählt. Ihre ONG ist ja eine relativ kleine und erst seit ein paar Jahren aktiv. Ist Ihre Wahl nicht auch eine Anerkennung für die Arbeit Ihrer ONG?
AD: Das ist sie in der Tat. Der OGBL ist zwar eine große Gewerkschaft, hat aber eine noch relativ kleine ONG. Wir haben unsere Tätigkeit, sozusagen aus dem Stand heraus, vor vier Jahren zusammen mit der OIT der „Organisation Internationale du Travail“ in Genf, begonnen. Die OIT hatte uns damals ein Hilfsprojekt für Ghana vorgeschlagen, das auf dem Prinzip eines „Conditional Cash Benefit Program“ basierte, das eine materielle Hilfe für Personen in Not vorsieht, die allerdings an gewisse Bedingungen geknüpft ist. In Zusammenarbeit mit der OIT begannen wir dann 2009 mit einem Projekt, das auf Nachhaltigkeit orientiert ist und das Gesundheit, Ernährung und Erziehung von Müttern und Kindern verbessern soll. Wobei man wissen muss, dass die Kindersterblichkeit in Ghana immer noch relativ hoch ist. Sie steht derzeit in einem Verhältnis von 118/1.000 Geburten.
Aktuell: Was genau beinhaltet das Ghana-Projekt? Inwiefern handelt es sich um ein nachhaltiges Projekt?
AD: In der Praxis sieht das Hilfsprogramm, das immer noch läuft, so aus, dass wir ca. 700 schwangere Frauen, die nach Armutskriterien ausgesucht wurden, mit einer Geldprämie unterstützen. Die Bedingungen für diese Unterstützung sind, dass alle Familienmitglieder in die Krankenkasse eintreten müssen, dass alle Frauen sich vor der Geburt ärztlich untersuchen lassen, dass auch nach der Geburt ärztliche Pflege für Mutter und Kind in Anspruch genommen wird, dass die Kinder eine vorgeschriebene Reihe von Impfungen erhalten und dass sie schließlich eine Schule besuchen. Das Hilfsprogramm, das in Zusammenarbeit mit ghanaischen Regierungsstellen funktioniert, ist auf den Distrikt Dangme West konzentriert, der in etwa die Größe Luxemburgs hat und nicht zu weit weg von der Hauptstadt Accra liegt. Diese geographische Nähe zur Hauptstadt war wichtig, weil das gute Funktionieren des Hilfsprogramms darauf aufgebaut ist, dass unsere Leute vor Ort – wir arbeiten in Ghana mit drei festangestellten Personen – alle zwei Monate in den Distrikt Dangme West fahren und den Frauen ihre Unterstützung bar auf die Hand geben. Und das ist vielleicht auch das Außergewöhnlichste an diesem Projekt ist, dass wir an Ort und Stelle sind und die Gelder direkt an die bedürftigen Frauen geben. Auf diese Art wissen wir genau, wo die Entwicklungshilfe ankommt: nämlich da, wo sie gebraucht wird. Ich muss allerdings sagen, dass wir, als wir unser Projekt als neugegründete ONG in Angriff nahmen, auf etwas Skepsis stießen. Man hat uns davor gewarnt, dass wir an Ort und Stelle viele Probleme haben würden, wenn wir versuchen wollten, unser Projekt, sozusagen als Außenstehende, in Ghana selbst in die Hand zu nehmen. Wir hatten dann aber eine sehr gute Unterstützung von Seiten der ghanaischen Regierung und auch elticher Verwaltungen, so dass wir in kürzester Zeit eine Infrastruktur auf die Beine stellen konnten, die, dank auch unserer Mitarbeiter in Ghana, eine hervorragende Arbeit zu leisten imstande war. Inzwischen gilt unser Hilfsprogramm bei internationalen Gremien wie Vereinte Nationen und EU als Vorzeige-objekt und wird gerne lobend erwähnt.
Aktuell: Wie steht es eigentlich um die Finanzierung dieses Hilfeprogramms in Ghana, und wie wurde die Tatsache, dass der OGBL eine ONG gründet und sich als Gewerkschaft auf dem Gebiet der internationalen Entwicklungshilfe betätigt, aufgenommen?
AD: Die Akzeptanz für Entwicklungshilfe ist in Luxemburg zum Glück ziemlich hoch. Die finanzielle Unterstützung des Staates für die Projekte der ONGs ist beträchtlich. Ohne die Unterstützung des Ministeriums und des BIT hätten wir unser Programm in Ghana niemals auf die Beine stellen können. Darüber hinaus sind wir auf Spenden angewiesen. OGBL-Mitglieder, aber auch andere Menschen, können uns monatlich einen Spendenbeitrag überweisen. Wir haben in diesem Zusammenhang festgestellt, dass es innerhalb der Gewerkschaft ein Verständnis dafür gibt, dass sich der OGBL, wie es ja eigentlich als Gewerkschaft seine Pflicht ist, verstärkt auf dem Gebiet der internationalen Solidarität betätigt. Wir wollen aber in dieser Richtung die Menschen stärker sensibilisieren und dabei die Idee stärken, dass Entwicklungshilfe heutzutage keine Form von Wohltätigkeit mehr sein darf, sondern ein Bestandteil des weltweiten Bemühens um soziale Gerechtigkeit sein muss. Nach diesem Prinzip funktioniert auch unser Projekt in Ghana, das im nächsten Jahr ausläuft und von dem wir uns erwarten, dass es von der ghanaischen Regierung in eigener Verantwortung weitergeführt wird.
Aktuell: Welche Projekte wird die OGBL-ONG als nächste in die Wege leiten?
AD: Inzwischen haben wir ja auch schon ein weiteres Projekt auf den Kapverden begonnen, das dazu beitragen soll, das System der Sozialen Sicherheit, das dort vorhanden ist, zu verstärken. Dies u. a. mit Informationsmaterial, aber auch mit Beratungen an Ort und Stelle. Und nachdem unser Projekt Ghana im kommenden Jahr auslaufen wird, sind wir dabei, zusammen mit unserer internationaler Organistation „solidar“ und dem BIT, neue Hilfsprogramme vorzubereiten. Diese Projekte enthalten einige pädagogische Konzepte und es wird in erster Linie darum gehen, Menschen in Entwicklungsländern, vor allem auch Frauen, die Möglichkeit zu geben, in sozialen, schulischen und gesellschaftlichen Bereichen verantwortliche Positionen übernehmen zu können. Was die Bedeutung der ONG für den OGBL angeht, so glaube ich, sagen zu können, dass wir durch unsere gute Arbeit in Ghana und mit unseren Plänen für die Zukunft den Beweis erbracht haben, dass die internationale Solidarität in unserer Gewerkschaft nicht nur einen konkreten Ausdruck sondern auch einen festen Platz gefunden hat. Wenn wir aber die internationale Solidarität künftig als einen festen Bestandteil unserer gewerkschaftlichen Arbeit ansehen, dann brauchen wir, so denke ich, auch eine feste Struktur der Finanzierung. Das heißt: Nur mit Spenden allein wird sich dieser wichtige Teil unserer Gewerkschaftsarbeit künftig nicht mehr finanzieren lassen.
Aktuell: Herr Drews, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch.
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