Corona: Kritische Lage in den Grundschulen

Mit Transparenz, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in der Kommunikation Vertrauen schaffen

Nach den Erfahrungen des letzten Schuljahres, sind sich die LehrerInnen der Grundschulen im Prinzip einig, dass ein erneutes Homeschooling weitere weitreichende negative Folgen nach sich ziehen würde, zumindest für die sozial schwächeren Schüler. Die Schule sollte deshalb im Präsenzunterricht weiterlaufen, solange es die Entwicklung der sanitären Lage zulässt.

Die Lage in den Schulen ist aktuell äußerst kritisch

Schon seit Anfang des Schuljahres fielen in vielen Schulen regelmäßig die „Cours d’appui“ und „Cours d’accueil“ aus, und dies obwohl diese so dringend gebraucht werden wie nie zuvor. Die durch den Lehrermangel schon sehr dünne Personaldecke erforderte es, dass diese Lehrer und Lehrerinnen wegen der krankheitsbedingten Ausfälle in den Klassen aushelfen mussten. Eine langfristige pädagogische Planung für den Unterstützunterricht der Kinder, die durch Corona bedingte Lernrückstände aufarbeiten sollten, war kaum möglich.

Gegenwärtig sind viele Lehrerinnen und Lehrer Corona-positiv, selbst in Quarantäne oder müssen zuhause ihre eigenen Kinder in Quarantäne oder in der Isolation betreuen. Jeden Morgen, vor Schulbeginn, muss kurzfristig in den Schulen organisiert, umdisponiert und improvisiert werden, um den Unterricht zu planen oder gegebenenfalls wenigstens die Aufsicht aller Schüler zu garantieren.

In den Klassen fehlen täglich mehrere Kinder, die positiv getestet wurden oder sich in Quarantäne begeben müssen. Diese Ausfälle können sich teilweise bis zu über drei Wochen erstrecken, wenn Quarantänen, durch Kontakt mit positiven Personen aus dem Haushalt, und schlussendlich Isolation aufeinander folgen.

Daneben werden auch in vielen Klassen, nach dem Durchführen der Schnelltests zu Unterrichtsbeginn, neue positive Fälle entdeckt. Hier heißt es nun, die Eltern zu informieren und sich darum zu kümmern, dass die Kinder von der Schule abgeholt werden. Dies bedeutet wiederum einen großen Zeitverlust, da sich die Lehrerinnen und Lehrer selbst darum kümmern müssen und auch um die Aufsicht des oder der, von den anderen Kindern getrennten, Schülern, die darauf warten aus der Schule abgeholt zu werden.

Gleichzeitig kommen immer wieder Kinder aus der Quarantäne oder Isolation zurück, und die Lehrkraft muss sich einen Überblick darüber verschaffen, welche Lernfortschritte diese Schüler in der Quarantäne oder Isolation zuhause gemacht haben.

Nach dem Unterricht kümmert sie oder er sich dann noch um die Kinder, die seit verschiedenen Zeitpunkten in Quarantäne sind, lässt ihnen die Aufgaben zukommen und bietet Hilfestellung bei Problemen an. Viele machen, wie während des ersten Lockdowns, nach ihrer regulären Arbeitszeit eine Tour durchs Dorf, um Material vorbeizubringen, zu trösten, zu beruhigen und zu beraten.

Sollte die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer ausfallen, wird im günstigsten Fall der Schule eine Person zur Verfügung stehen, die in den letzten Wochen in aller Eile vom Bildungsministerium rekrutiert wurde, ohne die geringste Ausbildung vorweisen zu müssen. Es wäre utopisch zu glauben, dass diese engagierten Leute, ohne pädagogische Erfahrung oder Grundausbildung, den Unterricht unter den gegebenen Umständen wie gehabt fortsetzen können. Auch obliegt es wieder der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer, alles vorzubereiten und bereit zu stellen. Ist dies nicht möglich, springen die ohnehin schon oft ausgelasteten und übermüdeten Kolleginnen und Kollegen ein.

Viele Schüler haben im Laufe dieses Schuljahres schon insgesamt mehrere Wochen individuell oder mit der ganzen Klasse in Quarantäne verbracht. Auch in Klassen, die noch nicht im Homeschooling waren, kam es durch die vielen Ausfälle, sowohl von Schülern wie von Lehrern, zu Verzögerungen im Programm, und ist es jetzt schon absehbar, dass das ganze Lehrpensum in diesem Schuljahr kaum bis gar nicht zu schaffen ist.

In vielen regionalen Schulleitungen hat man den Ernst der Lage scheinbar bisher nicht erkannt oder aber bewusst ignoriert. Die Direktorinnen und Direktoren weigern sich das pädagogisch ausgebildete Personal, das in den regionalen Büros viel Zeit mit administrativer Arbeit verbringt, in diesem kritischen Stadium der Pandemie zur Unterstützung des Schulpersonals in die Schulen zu senden. Im Gegenteil, die Lehrerinnen und Lehrer werden weiter mit administrativer Arbeit unter Druck gesetzt. Weit entfernt von der Realität des schulischen Alltags, wird in den Regionaldirektionen die Auswirkungen und Konsequenzen der Maßnahmen, Umsetzung und mehrfachen Ausfällen ignoriert und sie ziehen ein „business as usual“ einer konkreten Hilfestellung vor. Diese Diskrepanz stößt vielen Lehrerinnen und Lehrer sauer auf.

Dass in einer solchen Situation, in der die Lehrer, wie Beschäftigte in vielen anderen Berufsgruppen auch, in unserer Gesellschaft an ihre Grenzen stoßen, der Bildungsminister öffentlich vom Personal in den Schulen etwas mehr „Flexibilität“ verlangt, klingt in deren Ohren wie blanker Hohn.

Die sanitären Maßnahmen in den Schulen sind inzwischen nur noch Fassade und blinder Aktionismus. Die Verfolgung der Infektionsherde musste längst aufgegeben werden. Die Maßnahmen und Prozeduren bei einem positiven Test oder einem Kontakt mit einer positiven Person ändern immer wieder, sind sehr unklar und teils widersprüchlich. Lehrerinnen und Lehrer trauen sich kaum, eine konkrete Antwort auf die vielen Fragen besorgter Eltern zu geben, da es durchaus sein kann, dass diese bei einem Anruf an eine zuständige Instanz eine entgegengesetzte Anweisung bekommen.

Die Schnelltests in den Schulen können die Schutzfunktion für Schüler und Lehrer nicht vollständig garantieren. Es gibt Kinder, die nicht getestet werden dürfen, und bei den Kindern der Vorschule wird nicht kontrolliert, ob die Tests zuhause ordnungsgemäß durchgeführt werden. Sollte das nämlich nicht der Fall sein, so hat niemand Konsequenzen zu befürchten. Das Gleiche gilt für den Fall, dass die Quarantäne-Maßnahmen nicht ordnungsgemäß eingehalten werden.

Das Virus breitet sich quasi ungehemmt in den Schulen aus

Das SEW/OGBL hatte, schon vor mehr als einem Jahr, die Ausstattung der Klassenräume mit Luftfiltern verlangt. Damals wurde dies mit dem Hinweis auf das baldige Ende der Pandemie und dem finanziellen Aufwand abgetan. In der Zwischenzeit gibt es (reiche) Gemeinden, die die Initiative selbst ergriffen haben und diese Apparate anschaffen. Auch da erleben wir also eine Zweiklassengesellschaft in den Schulen. Das ist absolut inakzeptabel.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dem Bildungsministerium kurzfristig nicht viele Optionen bleiben. Trotzdem muss man die holprige und intransparente Kommunikation seitens des Bildungsministeriums ganz klar kritisieren. Hier hätte offener und mutiger gehandelt werden können.

Die offizielle Kommunikation des Bildungsministers, der die obengenannten Probleme nicht wahrhaben will, der Statistiken nur unter größtem öffentlichen Druck publiziert und der eher den Eindruck hinterlässt, den Ernst der Lage zu verschleiern, hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Weigerung, ehrlich und offen zu kommunizieren, hat dazu geführt, dass das Vertrauen von Eltern und LehrerInnen nachhaltig zerstört ist.

Der Ansicht vieler ExpertInnen nach, ist es unter den gegebenen Bedingungen wohl unvermeidbar, dass ein Großteil der Bevölkerung, also auch eine Reihe zum Teil ungeimpfter Kinder in der Grundschule, mit dem Virus in Kontakt kommen und sich infizieren werden.

Welche Langzeitfolgen die Krankheit für die Kinder nach sich ziehen wird, ist bisher nicht absehbar

Kontaktverfolgung sowie Quarantäne sind jetzt schon auf ein Minimum beschränkt, da die dazu eingesetzten Strukturen und Ressourcen den Aufwand nicht mehr bewältigen können, und die Gefahr besteht, dass das öffentliche Leben zum Erliegen kommt. Als neue Maßnahme wird neuerdings keine Klassenquarantäne mehr ab 6 positiven Fällen ausgesprochen, wenn die große Mehrheit der Schüler über die Teilnahmeerklärung am „testing renforcé“ verfügt. Offiziell kommuniziert wurde das bisweilen nicht, Lehrerinnen und Lehrer werden einzeln darüber informiert und müssen das Unverständnis der Eltern auffangen.

Das SEW/OGBL verlangt eine ehrliche Kommunikation über mögliche Perspektiven, die Ziele der Maßnahmen sowie über die aktuelle Lage in den Schulen. Die Schulklassen laufen schon seit Wochen, einige fast seit Beginn des Schuljahres, im Krisenmodus. Die Konsequenzen riskieren sich ähnlich verheerend auf die Lernprozesse der Kinder auszuwirken wie während der langen Phase des Lockdowns im Schuljahr 20/21, und dies wieder einmal besonders für Kinder aus sozial schwächerem Milieu. Der kürzlich erschienene Bildungsbericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die soziale Schere immer weiter aufgeht, und die momentane Situation wird diese Bildungskrise verstärken.

Es braucht eine ehrliche Analyse und eine nachhaltige Strategie vom Bildungsministerium, wie man die Kinder, die am meisten unter der Pandemie gelitten haben, konkret und sinnvoll unterstützen kann, so dass sie nicht die großen Verlierer dieser sanitären Krise werden.

Die Maßnahmen müssen langfristig angelegt werden. Es reicht nicht aus, ein paar punktuelle, medienwirksam vorgestellte Aktionen zu planen. Man denke hier an die medial groß angekündigte „Summerschool“. Ein paar Schüler durften freiwillig einige Stunden mit Vertretungslehrerinnen und -lehrer arbeiten, die sich in der kurzen Zeit kaum einen Überblick über die Lerndefizite verschaffen, geschweige denn Lernfortschritte beim Schüler erzielen konnten. Solche Scheinlösungen schaffen lediglich eine Fassade, die eines der größten Probleme der Grundschulen, nämlich den Mangel an korrekt ausgebildeten Schulpersonal, nicht mehr verstecken kann.

Das SEW/OGBL fordert vom Bildungsminister Mut zur Transparenz und zur Ehrlichkeit, denn nur auf eine ehrliche Analyse kann eine sinnvolle Problemlösestrategie aufgebaut werden.

Mitgeteilt vom OGBLSyndikat Erziehung und Wissenschaft (SEW)
am 3. Februar 2022