9. Remicher Gespräche

Industrieller Wandel, Klimawandel und Überwindung der Krise: Welche Auswirkungen für die Großregion?

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Prominente Gäste und ein spannendes Thema prägten die 9. Remicher Gespräche im CEFOS in Remich/Luxemburg. Eugen Roth, DGB, am 9. Juni 2021 in Nachfolge von Jean-Claude Bernardini (OGBL) zum Präsidenten des Interregionalen Gewerkschaftsrats der Großregion (IGRGR) gewählt, wies bei der Begrüßung auf die besondere Bedeutung der Industrie in allen Teilregionen sowie ihre herausragende Basis für den Beschäftigungs- und Sozialsektor hin. Frédérique Massade führte aus Sicht der Interregionalen Arbeitsmarkt – Beobachtungsstelle(IBA/OIE) in die Struktur der Arbeitsplätze auf dem Industriesektor der Großregion ein.

Den inhaltlichen Input machte der Luxemburgische EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit:
Der EU-Kommissar aus Luxemburg, ein Experte für die Belange der Großregion, beschrieb die gigantisch große Aufgabe, bis 2030 bereits die CO2-Emissionen um 55 % zu verringern. Netto Null-Emissionen sollen bis 2050 erreicht werden. Zur Überwindung der Coronakrise habe die EU ein Hilfsprogramm von 100 Milliarden Euro aufgelegt, von dem alle 27 Staat partizipiert hätten. Die Industrie müsse man in Europa und in der Großregion behalten. Auf dem Automobilsektor habe die Kommission große Ziele bis 2035: Es bleiben also 14 Jahre Zeit für rund 14 Millionen Beschäftigte, d.h. 13 % der Gesamtbeschäftigten. Insgesamt gehe es um 185 Produktionsstandorte europaweit. In 51 davon werden Motoren hergestellt. Bis 2035 sollten keine Verbrennungsmotoren mehr hergestellt werden bzw. ausschließlich auf Basis anderer Kraftstoffe. Hieraus ergebe sich ein riesiger Umschulungsbedarf. In enger Abstimmung mit EU Kommissar Thierry Breton für Binnenmarkt und Dienstleistungen würden Lösungsszenarien entwickelt, die auch durch die Umsetzung der Säule der sozialen Rechte komplettiert werde.

remich2Die ökonomischen und ökologischen Ziele hin zur Elektromobilität stehen im Zentrum der Planungen, d. h. die Ladeinfrastruktur usw. Europa produziere derzeit nur ca. 3 % der Batterien, Asien den Rest. Deshalb gebe es 20 große Batterieprojekte der EU in Europa. 800.000 Fachkräfte würden benötigt – wo können wir die finden? Nicolas Schmit: „Wenn wir diesen Zug verpassen, werden alle Autos zukünftig in China hergestellt.“ Europa müsse, am negativen Beispiel der verlagerten Halbleiterproduktion, bestimmte Schlüsselbereiche wieder selbst entwickeln und produzieren.

Die Logik des Marktes alleine funktioniere nicht und falls doch, wirke sie zerstörerisch. Das Gesamtfazit von EU-Kommissar Nicolas Schmit: Europa braucht auch zukünftig eine starke Industrie mit einer starken, sozialen Dimension.

Diskussionen in 2 Podien /„Tables Rondes“:

Es folgten 2 Diskussionsrunden, moderiert von Wolfgang Wirtz–Nentwig, Saarländischer Rundfunk, und von Wolfgang Lerch, DGB.

In den Diskussionen äußerten die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften der Großregion Kritik an den Plänen, die bisher jegliche Arbeitsplatzgarantien oder Beschäftigungsgarantien im Zuge der Transformation vermissen ließen. Hinweise auf Flexibilisierungsanforderungen und Weiterbildung seien zu schwach angesichts der Tatsache, dass es bei den Arbeitnehmern um ihre gesamte, berufliche Existenz gehe. Auch würden die Beschäftigten bisher nicht ausreichend an den Umwandlungsprozessen beteiligt. Letztendlich, so die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, dürfe Europa sich nicht selbst deindustrialisieren.

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Hier seien auch die Unternehmensleitungen gefordert, sich selbst wesentlich stärker einzubringen und nicht immer nur an die Politik zu verweisen. Das Instrument der europäischen Betriebsräte müsse weiter gestärkt und ausgebaut werden. Momentan reiche es in der vorliegenden Form für die harte Qualität dieser Transformation noch nicht aus. Patrice Harster wies für den Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion(WSAGR) darauf hin, dass diese Beteiligungsform bei der Suche nach Problemlösungen sich bewährt habe und ein größeres, politisches Gehör verdiene.

Moderator Wolfgang Wirtz–Nentwig fasste zusammen, er sei optimistisch, dass sich die Lage der Arbeitnehmer durch die Knappheit der „Human Ressources“ verbessern werde. Die soziale Balance werde zunehmen auch zum Beispiel in China gefördert. Angst müsse man eher vor den „Rechten“ haben, die die Beschäftigten zu verunsichern bzw. deren berechtigte Fragen auszunutzen versuchten, ohne konstruktive Lösungen aufzuzeigen.

Die speziellen Anforderungen des Automobilsektors beleuchtete Didier Guyot von 3 E Consultants in einem Vortrag mit gewerkschaftlichem Blickwinkel genauer: Die Auseinandersetzung über die Antriebsart der Zukunft, d.h. Elektro- oder Wasserstoffmobilität oder emissionsfreie Verbrenner, wäre ähnlich einem „Religionskrieg“. Wer würde diese Entscheidungen treffen? Jedenfalls müssten die Gewerkschaften mit dabei sein. Nach dem französischen Modell „GPEC“ müssten sich die Unternehmen einbringen, alle 3 Jahre wiederholend, um ihre strategischen Entscheidungen offen zu legen.

Dabei müsse die Forschungs-, die Beschäftigungs- und die Ausbildungspolitik – alles – auf den Tisch gelegt werden. Auch die zweite Diskussionsrunde verlief lebhaft, zum Beispiel bei der Frage der Energieversorgung durch Atomkraft oder auch nicht?
Deutlich wurde aber die gemeinsame Gewerkschaftsforderung, dass die Beschäftigteninteressen über der Gewinnmaximierung stehen müssten. Arbeitsplätze, Arbeitsschutz und Umweltschutz müssten gemeinsam garantiert werden. Die Unternehmen bräuchten deshalb eine längerfristige, transparente Bedarfsplanung und, daran orientiert, eine gezielte Aus-, Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer. Auch wir, d.h. die Gewerkschaften in der Großregion, sollten unsere Kommunikation untereinander verbessern und ausbauen.

Der Moderator der zweiten Diskussionsrunde, Wolfgang Lerch (DGB), fasste zusammen: Es warten viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen auf die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften.

Die 9. Remicher Gespräche haben eine lebhafte, aber inhaltsreiche und höchst aktuelle Diskussion der Beschäftigten auf großregionaler Ebene gewährleistet. An den berechtigten Forderungen und Zielen muss weitergearbeitet werden.