Behindertenorganisationen fordern eine Ausweitung der Behindertenrechte in der Verfassung

Seit einiger Zeit wird in Luxemburg eine wichtige Verfassungsreform vorbereitet. Die Verfassung ist ein grundlegender Text des luxemburgischen Staates, der eine Basis nicht nur für die Erarbeitung neuer Gesetzgebungen bietet, sondern auch für die Auslegung der bestehenden Gesetze und für die von den Gerichten entwickelten Jurisprudenzen. Diese Verfassungsreform betrifft uns Alle und sollte folglich in einem demokratischen Prozess gemeinsam mit der Zivilgesellschaft entwickelt werden!

Im Sinne des Artikels 29 der von der luxemburgischen Regierung ratifiizierten Behindertenrechtskonvention, in dem der Staat sich verpflichtet, Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen die Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben abzusichern, melden wir uns gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen Daaflux, Elteren a Pedagoge fir Integratioun, Zesummen aktiv – ZAK und der Abteilung Behinderter Arbeitnehmer DTH des OGBL hiermit bei der Diskussion um die Verfassungsreform zu Wort und zu Gebärde.

Wir haben nachgelesen, wie es mit den Rechten von uns Menschen mit Behinderungen in der aktuellen Verfassung [1] aussieht. In der Verfassung steht (deutsche Übersetzung ist von uns):

„Art. 11 (5) Das Gesetz regelt die Prinzipien der sozialen Sicherheit, den Schutz der Gesundheit, die Rechte der Arbeitnehmer, die Bekämpfung der Armut und die soziale Integration der Bürger mit Behinderungen.“

Wir haben uns beim Lesen gefragt: Warum sollte ein Gesetz nur „Prinzipien regeln“? Wie war bisher bei dieser vagen Formulierung überhaupt eine juristische Kontrolle der Entwicklung zur sozialen Integration möglich? Die aktuelle Regelung des „Prinzips“ der Integration von Bürgern mit Behinderungen – in einem 5. Abschnitt als letzter Punkt eines Artikels festgehalten – entspricht – erst recht nach der Ratifikation der Behindertenrechtskonvention – absolut nicht den Gegebenheiten in der heutigen Gesellschaft und dem Bedarf von Menschen mit Behinderungen!

Wir fragen uns weiter: Ist denn eine Besserung in Sicht? Was wir herausgefunden haben: Die Verfassungsreform wird von der Kommission der Institutionen und der Verfassungsreform der Abgeordnetenkammer vorbereitet und koordiniert. Wir haben im Protokoll der Kommission vom 20. Februar 2013 auf Seite 8 [2] gelesen, dass ein neuer uns betreffender eigener Artikel vorgeschlagen wurde, mit dem wir wirklich sehr einverstanden sind (auch hier Übersetzung von uns):

„Art. 43. Der Staat achtet darauf, den vollen und gleichen Genuss aller Menschenrechte und aller Grundfreiheiten der Menschen mit Behinderungen zu schützen, zu fördern und abzusichern und den Respekt der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“

Wir haben uns sehr gefreut, diese Zeilen zu lesen! Dann aber haben wir beim Weiterlesen des Protokolls mit Erschrecken festgestellt, dass die Kommission den letzten Teil des Textvorschlags nun streichen will, also den Teil über die Förderung der Menschenwürde der Menschen mit Behinderungen. Grund: Die Thematik der Menschenwürde würde schon in einem allgemeineren Teil der Verfassung behandelt.

Wir bitten die Mitglieder der Kommission jedoch dringendst darum, die Achtung der Menschenwürde mit in den geplanten Artikel über die Menschrechte von Menschen mit Behinderungen aufzunehmen!! Und wir bitten die Zivilgesellschaft hier um Unterstützung! Denn – wie wir in unserer gemeinsamen Arbeit erfahren mussten, finden gerade hier – im Bereich der Menschenwürde die meisten Verletzungen an Menschen mit Behinderungen statt. Deshalb muss der Zusammenhang der Förderung unserer Würde und des Schutzes unserer Menschenrechte in einen gemeinsamen Artikel!

Doch auch wenn ein solcher grundsätzlicher Artikel ein großer Schritt in die richtige Richtung sein wird, er wird nicht genügen. Wir schlagen weitere Änderungen vor, die sich aus der UN Konvention ergeben.

Eine Änderung betrifft die uns zugesicherte politische Partizipation. Siehe hier 3. Abschnitt des Artikels 53 der Verfassung, der Menschen, die unter Vormundschaft stehen, vom Wahlrecht ausschließt:

Wir zitieren (Übersetzung wieder von uns):

„Art. 53.
Weder wählbar noch zur Wahl aufgestellt werden können…
(3) Erwachsene unter Vormundschaft.“

Wir weisen darauf hin, dass das Recht zu wählen und gewählt zu werden das grundlegendste politische Mitwirkungsrecht in einer Demokratie ist und dass dieses Recht jedem erwachsenen Mitglied der Gesellschaft zusteht – und damit auch Menschen, die beispielsweise aufgrund ihrer Behinderung unter rechtlicher Betreuung stehen!

Der Absatz 3 von Artikel 53, der Menschen unter Vormundschaft das Recht auf politische Teilhabe nimmt, muss daher ersatzlos gestrichen werden! Im Übrigen sind wir der Meinung, dass der Artikel, der mehrere Personengruppen vom Wahlrecht ausschließt grundsätzlich gestrichen werden muss.

Natürlich ergibt sich daraus dann eine Änderung des Vormundschaftsrechts (Unterstützung statt Vertretung und „Bevormundung“) und des Wahlrechts (Ausbau der Unterstützungsmaßnahmen). Diese Reformen wurden ja auch im nationalen Aktionsplan der Regierung angekündigt. Aber um diese Gesetze zu reformieren, muss die Grundlage in der Verfassung geschaffen werden! In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass der Ausschluss vom Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen nicht nur unvereinbar ist mit Artikel 29 der Behindertenrechtskonvention, sondern auch mit Artikel 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN–Zivilpakt)!

Ein weiteres großes Anliegen von uns – und hier sind auch andere diskriminierte Bevölkerungsgruppen betroffen – ist die Schaffung eines grundlegenden Artikels in der Verfassung betreffend das Verbot von Diskriminierung.

So haben wir mit Besorgnis im aktuellen Tätigkeitsbericht [3] des Gleichbehandlungszentrums CET gelesen, dass Fälle von Diskriminierungen nicht ausreichend gerichtlich verfolgt werden und es kaum Jurisprudenzen für diesen Bereich gibt. Dafür gibt es sicher mehrere Gründe. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist eine feste Grundlage für die Antidiskriminierungsgesetzgebung in der Verfassung! Wie von der Menschenrechtskommission in ihrer Stellungnahme [4] gefordert, ist ein eigener Artikel nach dem Vorbild des Artikels 21 der Grundrechtscharta der Europäischen Union, der die Diskriminierung aufgrund von verschiedenen Motiven, darunter Behinderung, verbietet, absolut notwendig!

Zuletzt weisen wir bei dieser Gelegenheit nochmals auf die dringende Notwendigkeit der gesetzlichen Anerkennung der Gebärdensprache in Luxemburg hin. Inzwischen sind wir mit Malta und Bulgarien hier die Schlusslichter in der europäischen Union! Höchste Zeit also für eine Veränderung!

Wie wir – gemeinsam mit Daaflux – schon des Öfteren wiederholt haben, so gibt es verschiedene Arten der gesetzlichen Anerkennung, eine davon ist die Anerkennung auf Verfassungsebene. Durchaus denkbar wäre eine Formulierung wie in der österreichischen Verfassung: „Die Österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze.” Die natürlich dann folgen müssen.

Gut gefällt uns auch die Formulierung in der ungarischen Verfassung: “Ungarn schützt die Ungarische Gebärdensprache als Teil der ungarischen Kultur.”

Es gibt ebenfalls die Möglichkeit der Anerkennung in einem Rahmengesetz, auch das wäre eine Lösung für Luxemburg, mit der wir einverstanden wären. Allerdings – dieses Rahmengesetz gibt es noch nicht und soweit wir wissen, ist auch keines in Vorbereitung.
So oder so – der aktuelle Artikel 29 über den Gebrauch der Sprachen in der Verfassung ist zu schwach, um eine zufriedenstellende Grundlage für eine gesetzliche Anerkennung darzustellen (Übersetzung von uns):

Art. 29.
Das Gesetz regelt den Gebrauch der Sprachen im Bereich Verwaltung und Justiz.

Bitte bessern Sie auch hier nach! Damit die gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprache nicht länger ein Versprechen im Aktionsplan bleibt! Mit einer Stärkung des Artikels 29 bzgl. der Sprachen und darauf folgend einer Reform des Gesetzes über den Gebrauch der Sprachen [5] können Sie mit dafür sorgen, dass unsere gehörlosen FreundInnen, die ausschließlich in deutscher Schriftsprache kommunizieren, zuverlässig Anschreiben der Verwaltungen in deutscher Sprache erhalten und nicht wie leider immer noch üblich in französischer Sprache.

Sie sehen, es gibt großen Handlungsbedarf, was die Absicherung der Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Verfassung betrifft. Für einen wichtigen Austausch bezüglich der Verfassungsreform zu den Themen Schutz der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen, Absicherung der politischen Partizipation, Antidiskriminierung und Anerkennung der Gebärdensprache stehen wir sehr gerne zur Verfügung. Nehmen Sie uns als ExpertInnen in eigener Sache ernst!

Nëmme Mat Eis!
7, rue Tony Burg
L–1278 Luxemburg
E Mail : info@nemmemateis.lu
GSM : 621 19 29 03

Daaflux
www.daafllux.lu

Elteren a Pedagoge fir Integration
www.integration–epi.lu

Zesummen aktiv – ZAK!
www.zak.lu

Département des Travailleurs Handicapés DTH / OGBL